RP | 30. Dezember 2020

Lieber auf der Straße als in der Notunterkunft

DÜSSELDORF | Es ist ein verregneter Abend, 22 Uhr. Die Düsseldorfer Altstadt liegt in einer gespenstischen Stille. Der Lockdown hat das Leben heruntergefahren, die Menschen sind zu Hause. Lediglich vor der Dominikanerkirche hat sich eine Gruppe versammelt, ihre Stimmen dringen durch die Gassen. Sie reden über ihre momentanen Schlafplätze, wo man aktuell trotz Lockdowns noch auf Menschen treffen kann. Einer aus der Gruppe erzählt stolz, dass er schon seit Längerem keinen harten Alkohol mehr trinke.

Für viele Obdachlose, die dort fast jeden Abend zur gleichen Zeit zusammenkommen, ist es der Lichtblick des Tages. Der mobile Hilfseinsatz „Gutenachtbus“ fährt an diesem Abend um kurz nach 22 Uhr in der Altstadt vor. Schnell teilt sich die Gruppe obdachloser Menschen in zwei Schlangen auf. An der Seitentür bauen die ehrenamtlichen Helfer vom „Gutenachtbus“ die Essensausgabe auf, hinten können sich die Obdachlosen wichtige Utensilien für die Nacht holen: warme Kleidung, Isomatten, Schlafsäcke. Auf Bestellung gibt es sogar Rucksäcke und Zelte.

„Wir teilen das aus, was wir gerade so vorrätig haben“, erklärt Gerd, Ehrenamtler beim „Gutenachtbus“. „Deshalb sind wir das ganze Jahr auf Spenden angewiesen.“ Obwohl es glücklicherweise eine milde Winternacht ist, gehen die heißen Getränke und Speisen an der Essensausgabe am besten weg.

Hinten am Bus stehen Lukas und Franca vom Einsatzteam im Kofferraum. Sie nehmen die Wünsche der Obdachlosen an und schauen dann im Bestand nach, was passen könnte. „Am häufigsten fragen die Leute nach Unterhosen und Socken“, sagt Lukas. Aktuell sei die Nachfrage nach warmer Kleidung hoch. „Und da sind manche auch echt wählerisch. Wenn ihnen die Jacke nicht gefällt, dann versuchen sie es an einem anderen Tag eben noch mal. Das hat mich am Anfang überrascht, ist aber natürlich total verständlich.“

Herausgegeben werden gespendete Dinge oder von Spendengeld gekaufte Sachen. Seit Corona merken die Helfer einen starken Unterschied: Belegte Brötchen etwa, die von Firmenevents übrigbleiben, kommen nicht mehr an, weil kaum Veranstaltungen stattfinden. Ansonsten habe sich beim Ablauf der Hilfseinsätze seit Pandemiestart wenig verändert, erklärt Gerd: „Wir bitten die Obdachlosen, Schlangen zu bilden, dort auf Abstände zu achten, und haben Masken verteilt. Das funktioniert in der Regel auch reibungslos.“

Was sich für viele Obdachlose verändert hat, ist der Kontakt zu anderen Menschen. „Die Innenstadt ist leer, hier kommt ja kaum jemand vorbei“, erzählt Sebastian vom „Gutenachtbus“-Team. „Was da wegbricht, sind zum einen Spenden, aber – und das ist relevanter – auch die soziale Komponente. Die Obdachlosen wollen auch mal reden, jemanden ansprechen, andere Menschen sehen.“

Uwe lebt mittlerweile seit vier Jahren auf der Straße. „Wir merken schon, dass in der Stadt viel weniger los ist. Das ist nicht so schön mit so wenig Menschen“, sagt er. Uwe meidet die Notunterkünfte derzeit. „Ich komme da nachts nicht zur Ruhe. Außerdem ist es wegen Corona eh besser, auf der Straße zu schlafen. Da kann man sich nicht anstecken.“

Tatsächlich mussten viele Notunterkünfte für Obdachlose ihre Kapazitäten wegen Corona drastisch verkleinern. Die Städte versuchen dem entgegenzuwirken. Bereits zu Beginn der Corona-Pandemie begann Düsseldorf damit, Hotels anzumieten, um dort zusätzliche Schlafplätze einzurichten. Die seien extrem begehrt, und wenn deshalb am Ende doch nur ein Platz in den Sammelunterkünften bleibe, kämen viele Obdachlose ins Grübeln, erzählt Gerd vom „Gutenachtbus“: „Es gibt viele Gründe, wieso Menschen nicht in die Unterkünfte gehen. Die einen wollen sich nicht von ihrem Partner trennen, die anderen haben Tiere dabei. Viele bleiben auf der Straße, weil sie Angst haben – aktuell vor allem vor Corona.“

Der „Gutenachtbus“ ist 365 Tage im Jahr im Einsatz. Gegen 23 Uhr packt das fünfköpfige Team die Sachen in der Altstadt zusammen und fährt zum Hauptbahnhof. Dort bauen die Helfer nachts eine zweite Ausgabestelle auf. „Wir erreichen so jeden Tag 100 bis 150 Leute, die ihre Nacht auf der Straße verbringen“, sagt Gerd. Der Düsseldorfer Bus ist nur ein Puzzleteil von vielen Initiativen, die den obdachlosen Menschen in NRW helfen.

Mit Einschränkungen und weiteren Herausforderungen durch Corona haben Obdachlose und Hilfsorganisationen in ganz NRW zu kämpfen. Geschlossene Suppenküchen, überfüllte Schlafunterkünfte, wegfallende Spenden. In Mönchengladbach mussten die „Suppentanten“ ihre Essensausgabe zeitweise einstellen, weil viele Helfer zur Risikogruppe gehörten. Der Tagestreff des Vereins „Wohlfahrt“ darf nur begrenzt Obdachlose hereinlassen. Dabei sei die Nachfrage groß, es kämen derzeit viele Obdachlose, berichtet Vereinschef Martin Dalz.

Probleme mit den eingeschränkt erreichbaren Tagestreffs gibt es auch in Mettmann . Das berichtet Thomas Rasch vom Caritasverband. „Es gibt dort saubere Duschen und Toiletten, eine Waschmaschine, Mittagessen, Kaffee – es ist vor allem ein Ort, an dem sich die Wohnungslosen tagsüber aufhalten können“, sagt Rasch. Dieser Treff ist seit einigen Monaten eingeschränkt, die Menschen dürfen in der Mittagszeit jeweils nur für eine halbe Stunde zum Essen kommen, danach müssen sie wieder gehen. „Das ist bitter, vor allem jetzt im Corona-Winter.“

Viele Städte versuchen deshalb, Ausgleichsangebote zu schaffen. Wie zum Beispiel in Köln. Dort wurde nun für obdachlose Menschen – unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen – ein Wärmezelt am Bürgerhaus Stollwerck aufgebaut, das bis zum 31. März täglich zur Verfügung steht.