Welt online | 2. Januar 2019

Warum Obdachlose unter der Digitalisierung leiden

Ohnehin machten die Menschen auf der Straße gerade schwere Zeiten durch, berichtet der Geschäftsführer der Düsseldorfer Obdachlosen-Zeitschrift „FiftyFifty“, Hubert Ostendorf. Nach dem Aufkommen von Pegida und Co. treffe Hass nicht nur Fremde und Flüchtlinge, sondern besonders auch Obdachlose und Zeitungsverkäufer. In diesem allgemein ungünstigen Geschäftsklima verschärfe die Digitalisierung noch einmal die Bedingungen für die Straßenzeitungen. „Die Menschen wollen sich mit Papier nicht belasten“, so Ostendorf. Die einstige Spitzenauflage von 60.000 Exemplaren sei inzwischen auf rund 20.000 bis 30.000 gesunken.

Auch das Hamburger Magazin „Hinz&Kunzt“ hat zu kämpfen: Während in den 90er-Jahren teilweise bis zu 180.000 Exemplare im Monat verkauft wurden, waren es im vergangenen November nur noch gut 67.000. Junge Menschen wollten einfach nichts mehr auf Papier, sagt Chefredakteurin Birgit Müller. „Wir debattieren international darüber, aber eine wirkliche Antwort haben wir noch nicht gefunden.“ Ihr Blatt gehört zu den bundesweit rund 20 Publikationen, die sich dem Internationalen Verband der Straßenzeitungen (INSP) angeschlossen haben.

Während andere Medien den Printverlusten mit einer Digitalstrategie begegnen, steht den Straßenzeitungen eine solche Lösung (noch) nicht zur Verfügung. Denn bei solchen Projekten geht es laut Müller nicht nur um den Verkauf, sondern auch um Begegnung und Gespräch. In der Diskussion ist, ob Obdachlose demnächst QR-Codes für den Zugang zu einer digitalen Version verkaufen. Doch erste Versuche mit diesem technisch aufwendigen Modell seien gescheitert, berichtet Ostendorf.

Ihm macht ein weiterer Trend Sorge: Immer mehr Menschen zahlen immer weniger cash. „In zehn Jahren gibt es kein Bargeld mehr“, befürchtet der Geschäftsführer. Bei der Kartenzahlung haben Straßenzeitungsverkäufer das Nachsehen, weil viele von ihnen gar kein Konto besitzen. Das Problem hat auch die größte britische Obdachlosenzeitung „The Big Issue“ erkannt – und 20 Verkäufer testweise mit Kartenlesegeräten ausgestattet.

Andere Straßenzeitungen gehen gelassen mit dem Thema Digitalisierung um. Der Redaktionsleiter des in Bochum und Dortmund verkauften Straßenmagazins „Bodo“, Bastian Pütter, äußert sich zufrieden über eine seit Jahren stabile Monatsauflage von 20.000 Exemplaren. Allerdings strebt sein Blatt bewusst die Zielgruppe ab 40 aufwärts an, die „nicht mehr ganz jung“ und „mit Print aufgewachsen ist“.