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lola | 28. Dezember 2011

Düsseldorf aus der Sicht eines Obdachlosen

Eigentlich müsste die Überschrift unseres Titelthemas lauten: „Düsseldorf aus der Sicht Wohnungsloser“, denn wir hatten das Glück, durch die Vermittlung von fiftyfifty gleich mit vier Betroffenen sprechen zu dürfen. Und wir haben dabei gelernt, dass sie den Begriff „Obdachlose“ gar nicht gern hören, sondern lieber von „Wohnungslosen“ sprechen möchten, denn ein „Obdach“ haben die meisten von ihnen, nur eben keine eigene Wohnung.

Wir besuchen also das fiftyfifty Büro auf der Ellerstraße. Dort treffen wir zunächst auf die beiden Sozialarbeiter Oliver Ongaro und Kai Ansorg, die alle Hände voll zu tun haben, sich um wohnungslose Menschen zu kümmern, die vor ihren Schreibtischen Schlange stehen und darauf warten, dass ihnen geholfen wird. Darunter übrigens auch viele Roma und Sinti, denn fiftyfifty kümmert sich im Rahmen des Projektes „Eastwest – Auswege statt Ausgrenzung“ auch um von Wohnungslosigkeit und Armut bedrohte Zuwanderer.

Dann lernen wir unsere Gesprächspartner kennen, drei Männer und eine Frau, was übrigens auch dem Verhältnis Männer/Frauen bei den Wohnungslosen entspricht. Ungefähr 80 bis 85 Prozent sind Männer und 15 bis 20 Prozent Frauen. Armin ist 39 Jahre alt, kommt ursprünglich aus Mönchengladbach, hat auch mal in München gelebt und ist seit dem Jahr 2000 in Düsseldorf. Jörg ist 48 Jahre alt, gebürtiger Neusser und lebt seit 16 Jahren in Düsseldorf. Axel ist 51 Jahre alt und gebürtiger Düsseldorfer, genau wie Mirjam, 35 Jahre alt. Die vier kennen sich schon lange und scheinen sich auch sehr gut zu verstehen, wenn sie auch übereinstimmend sagen, dass echte Freundschaften untereinander eher selten und auch nicht einfach sind. Als Außenstehender würde man ja erwarten, dass Menschen in einer Notlage sich immer gegenseitig helfen und unterstützen, aber das ist wohl sehr oft nicht der Fall. Es gibt auch bei den wohnungslosen Menschen viele „schwarze Schafe“, die andere Wohnungslose bestehlen – es ist also schwer, einander zu vertrauen. Dies ist auch einer der Gründe, warum viele Wohnungslose einen Hund haben, nicht nur zum Schutz, sondern oft ist das Tier der einzige Freund.

Jörg ist gelernter Bäcker, war aber 30 Jahre lang drogenabhängig und ist – mit Hilfe des Methadonprogramms – erst seit einigen Monaten clean. Er lebt inzwischen nicht mehr auf der Straße, sondern hat eine kleine Wohnung im Stadtteil Eller. Er bezieht Hartz IV und verkauft außerdem, wie die drei Anderen auch, das Straßenmagazin fiftyfifty. Einer „normalen“ Arbeit ist er seit vielen Jahren nicht mehr nachgegangen und heute ist ihm dies auch kaum mehr möglich, da er vor einigen Monaten leider einen Arm verloren hat. Jörg erzählt, dass in Düsseldorf vergleichsweise viel für die Wohnungslosen getan wird, Institutionen wie Caritas oder Diakonie sind in diesem Bereich sehr aktiv. Er sagt auch, dass viele Wohnungslose gerne wieder arbeiten möchten, ihnen aber letztlich mit einem Ein-Euro-Job nicht gedient ist, denn meist ist dieser auf drei Monate begrenzt und zu einem festen Job verhilft er nicht. Das bestätigt auch Axel, der einen solchen Job bei der Radstation am Hauptbahnhof für drei Monate hatte. Er würde sehr gern dort fest arbeiten, am liebsten in der Werkstatt mit geregelten Arbeitszeiten, denn er ist gelernter Maschinenschlosser und handwerklich richtig gut. Axel hat viele Jahre als Zeitschriftenwerber gearbeitet und in dieser Zeit viel Geld verdient, aber er hat auch 28 Monate im Gefängnis gesessen, weil er versucht hat, Drogen aus Holland über die Grenze zu bringen. Selbst nach der Zeit im Gefängnis hat er noch einmal vier Jahre auf dem Großmarkt gearbeitet, allerdings ohne Auszeiten oder Urlaub, und als seine damalige Freundin ihn dann verließ, um nach England zu gehen, konnte er nicht mehr und verlor sehr schnell Arbeit und Wohnung. Vor fünf Jahren kam er in die Einrichtung am Rather Broich zu Bruder Matthäus und seit zweieinhalb Jahren lebt er nun wieder in einer eigenen Wohnung. Alle vier sagen übrigens übereinstimmend, dass leider einige Notunterkünfte in Düsseldorf geschlossen wurden, die man aber eigentlich unbedingt braucht. Meistens muss man bis 20.00 Uhr dort eintreffen und morgens um 8.00 Uhr wieder gehen, hier wünschen sich die Wohnungslosen etwas mehr Flexibilität.

Auch Armin hat viele Jahre ganz normal gelebt und gearbeitet, er hat sogar zwei Ausbildungen absolviert, nämlich eine als Sattler und eine zweite als Koch. Er hat in München mit Frau und Kind gewohnt, bei Audi gearbeitet, gut verdient und fuhr einen Firmenwagen. Eines Tages kam die betriebsbedingte Kündigung, die Freundin nahm Drogen und er trank zuviel – der Absturz kam schnell. Zurück nach Mönchengladbach wollte Armin nicht, also kam er nach Düsseldorf, lebte lange auf der Straße, schlief auch immer draußen, bis er sich irgendwann selbst um eine Veränderung kümmerte. Er trinkt immer noch gern, aber nicht mehr so viel wie früher und lebt – nach einiger Zeit auf einer Warteliste für eine Wohngemeinschaft – seit Anfang des Jahres in Reisholz mit fünf anderen ehemals Wohnungslosen in einem Einfamilienhaus. Aber ohne ein großes Maß an Eigeninitiative wäre das nicht möglich gewesen.

Mirjam ist die Jüngste in der Runde und wird von den Anderen gerne als „das Küken“ bezeichnet. Sie ist irgendwann im Leben dem falschen Mann begegnet, er war kriminell – Mirjam benutzt den Begriff „Mitternachtsschlosser“, wenn sie von ihm erzählt. Sie hat ihn sogar geheiratet, während er im Gefängnis saß. Sie hatte kein Geld und keine Arbeit, da war der Weg in die Wohnungslosigkeit und zum Zelt am Rheinufer nicht weit. Durch die fiftyfifty-Initiative ist es ihr aber mittlerweile gelungen, auf die Warteliste für eine Wohngemeinschaft zu kommen. Außerdem hat sie eine Umschulung zur Lageristin gemacht und wünscht sich, eines Tages auch wieder einen festen Job zu bekommen. Derzeit übernachtet sie in der Unterkunft von Bruder Matthäus am Rather Broich und hofft, dass sie bald in einer Wohngemeinschaft leben kann.

Ein Hauptproblem der meisten Wohnungslosen sind übrigens die Schulden, z.B. bei Stadtwerken, GEZ oder auch staatlichen Gläubigern. Oft haben sie auch bereits eine

Eidesstattliche Versicherung (Offenbarungseid) geleistet und sie haben kaum Möglichkeiten, ihre Schulden jemals abzubezahlen.

Wir haben unsere vier Gesprächspartner zum Schluss gefragt, was sie denn in Düsseldorf verbessern würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Sie sagen übereinstimmend, dass es mehr Notunterkünfte geben müsse bzw. dass die Stadt vorhandene nicht schließen sollte. Auch gibt es wohl im Vergleich zur Anzahl der Wohnungslosen nicht genügend Streetworker und wenn sie ihre Hunde mit in die Unterkünfte bringen dürften, wäre ihnen auch geholfen.

Übrigens leben ungefähr 150 Wohnungslose tatsächlich draußen auf der Straße. Das heißt, sie nutzen die Angebote, die es in der Stadt gibt, meistens nicht – für diese Gruppe Menschen werden dann im Winter z.B. beheizte Zelte benötigt, damit niemand erfriert. Das hat uns Bruder Matthäus erzählt, den wir natürlich auch besucht haben, denn was wäre ein Artikel zum Thema Wohnungslosigkeit ohne ein Gespräch mit ihm. Er, Mitbegründer von fiftyfifty, ist das Gesicht der Stadt, wenn es um Hilfe und Unterstützung für Wohnungslose geht und er hat sich das zur Lebensaufgabe gemacht. Nicht umsonst wurde er von der Rheinischen Post und Center TV im Dezember in der Kategorie „Soziales Engagement“ als „Düsseldorfer des Jahres“ ausgezeichnet. Die Ordensgemeinschaft der Armen-Brüder des heiligen Franziskus, Sozialwerke e.V., der Bruder Matthäus angehört, hilft den Wohnungslosen mit fünf verschiedenen Angeboten. Es beginnt mit Streetwork und Nachtunterkunft, also der Erstversorgung der Menschen, die von sich aus Hilfsangebote nicht annehmen können oder wollen. Die Streetworker suchen sie auf und versuchen, ihr Überleben zu sichern. Dann gibt es das so genannte Betreute Wohnen, hier wird wohnungslosen Menschen über einen Zeitraum von maximal 18 Monaten geholfen, wieder eine selbstständige Lebensführung zu erlernen. Zu den Angeboten gehören auch stationäre Hilfen in so genannten Außenwohngruppen, wo die Betroffenen lernen können, ihren Lebensalltag wieder alleine zu bewältigen, also ein ganz normales Leben zu führen. Die stationären Hilfen mit Vollversorgung verfolgen das gleiche Ziel, hier geht es aber zunächst vor allem um medizinische Versorgung, denn viele Wohnungslose sind gesundheitlich stark beeinträchtigt. Ein ganz wichtiges Angebot ist die Beschäftigungshilfe, denn das Ziel ist ja, die Chancen der Wohnungslosen, wieder eine Arbeit zu finden, zu verbessern. In verschiedenen Gewerken wie z.B. Druckerei, Maler- und Lackiererarbeiten oder Hausmeisterservice haben sie die Möglichkeit, zu arbeiten und so neue Perspektiven zu finden und wieder am Leben teilzunehmen.

Beate Werthschulte