Semras Geschichte
BUCHVORSTELLUNG. Die junge Roma, die für das Bleiberecht ihrer Familie kämpfte, will erneut politische Zeichen setzen.
Da ist ein Mann vor trostlosen Hütten, deren schimmelnde Wände von Planen statt Dächern bedeckt werden. Und da ist seine Tochter, die am liebsten die Mattscheibe zerschmettern will, durch die die Bilder ihres Vaters zu ihr dringen. Und da ist Semra Idic. Sie strahlt erleichert als sie die Seiten aus der Hand legt, auf der diese, mit etwas zittriger Stimme gelesene Geschichte gedruckt ist - ihre Geschichte.
Politische Zeichen setzen
"Wenn nicht sogar sehr" heißt das 144 Seiten starke, im "fiftyfifty-Verlag" erscheinende Buch, das sich die junge Roma ein Jahr lang von der Seele schrieb. Vor zwei Jahren hatte die damals 17-Jährige für das Bleiberecht ihrer Familie gekämpft. Und nach einer Odyssee durchs Kirchenasyl gewonnen. Fast. Denn der Vater war bereits vorher nach Serbien ausgewiesen worden und streitet noch um seine Rückkehr. Täglich telefonieren sie miteinander, ihm widmet die 19-Jährige das Werk. Das Vorwort dazu stammt von Günter Grass.
Doch auch wenn Semra Idic erneut politische Zeichen setzen will, so ist der Ton der Seiten, die sie gestern in der Franziskaner-Klause liest, ein anderer. Wenig Klage ist daraus zu vernehmen, eher die gespenstische Atmosphäre eines Alltags, in dem das Kirschenpflücken im Klostergarten nur schwer von der prekären Aufenthaltslage ablenken kann.
Durchaus humorvoll beschreibt die Auszubildende dabei das Leben mit den Klosterbrüdern und schildert nicht ohne Ironie wie Mutter Rezan Idic jeden Abend für alle Notleidenden betet, "sogar für unseren Oberbürgermeister."
Dennoch schlägt sie keine Tonlage der Vergebung an. Eher ist es die Bestandsaufnahme einer jungen Frau, die sehr früh erwachsen werden musste und nun einen Ort für ihre Erfahrungen finden möchte. "Was ist Heimat?" fragt sie. Eine Antwort gibt sie nicht.
"Wenn nicht sogar sehr" soll Anfang Oktober erscheinen. Der Band kostet im Vorverkauf 14,90 Euro: Tel: 921 62 84.
DOMINIK MAEDER