„Für mich bleibt der Wohnungsbau die zentrale Disziplin der Architektur“: Niklaus Fritschi. Foto: privat

Architektur mit menschlichem Maß

Niklaus Fritschi erzählt in einem schönen Buch, wie er vom Schweizer Bauzeichner-Lehrling zum Mitgestalter Düsseldorfs wurde.

Anno 1969, in bewegten Zeiten also, kam ein junger Schweizer nach Düsseldorf, um an der Kunstakademie Baukunst zu studieren. So hieß das Fach noch, es wurde aber bald in „Architektur“ umbenannt, das klang sachlicher. So oder so, der junge Mann mit Namen Niklaus Fritschi genoss das Studium, es war „frei von Zwängen“, und an Landsleuten unter Kommilitonen wie Professoren fehlte es auch nicht. „Ich habe es immer als Privileg empfunden, hier studieren zu können“, schreibt Fritschi in seinem autobiographischen Buch Über Leben und Bauen, das im August 2025 erschienen ist. Ihm, der „nur“ eine dreijährige Bauzeichner-Lehre mitbrachte, hätte in der Schweiz allenfalls ein Technikum offen gestanden, was ihn als kreativen Kopf nicht reizte. Dank großzügiger Abkommen zwischen Bundesrepublik und Schweiz bot sich ein anderer Weg: „Die Aufnahme an die Akademie ging ohne bürokratische Hindernisse vonstatten.“ Ob das heute noch genauso wäre?

Knapp ein Drittel seiner Aufzeichnungen widmet Fritschi seiner Kindheit und Jugend. In zahlreichen Episoden fängt er die Lebens- und Familienwelt ein, die ihn geprägt hat: das Arbeiterviertel in Rorschach am Bodensee mit der nahegelegenen Feldmühle und ihren giftigen Dämpfen, wo der Vater malochte; die bescheidene Werkswohnung der kinderreichen Familie; die Nebentätigkeiten, mit denen man sich über Wasser hielt; die unablässigen Gottesdienstbesuche, aber auch das Singen und Musizieren im familiären Alltag: „Der Stellenwert, den Mutter dem Musizieren beimaß, war hoch. Für sie waren Kunst und Musik nicht verhandelbare Menschenrechte.“ Eine Zeitlang spielte der kleine Niklaus alias „Chläus“ auch Geige. Und tief beeindruckt hat ihn, als seiner Mutter vor einem friedvollen Ölgemälde von Giovanni Segantini im Museum von St. Gallen die Tränen kamen. „Von diesem Augenblick an“, schreibt Fritschi, „wurde die Kunst zum Mittelpunkt meines Lebens.“ Leider wollte es das Schicksal, dass er von seiner Mutter auch die Retinitis Pigmentosa übernahm, eine erbliche Augenkrankheit, die ihn inzwischen seines Sehsinns fast ganz beraubt hat.

Niklaus Fritschi war seinerzeit nur des Studiums wegen nach Düsseldorf gekommen. Doch dann wurde ihm die Stadt zur neuen Heimat. Eine gewisse Weichenstellung bedeutete schon seine Diplomarbeit: Er entwarf das Konzept einer sozial verträglichen Sanierung von Eisenheim, der ältesten noch existierenden Arbeitersiedlung in NRW, welche die Stadt Oberhausen damals abreißen lassen wollte. Die Aufgabe erforderte, in Tuchfühlung mit dem Leben und den Bedürfnissen der Bewohner zu treten. Die Präsentation der komplexen Arbeit in der Aula der Akademie unter aktiver Beteiligung von Mitstudierenden geriet zum denkwürdigen Spektakel. Im Prüfungsgremium kam es zu einer Kontroverse – und schließlich zu einem „Summa cum laude“.

Jahre später sollte Fritschi dann selbst Prüfungen abnehmen, als Professor an der FH Düsseldorf, der er von 1986 bis 2006 angehörte. Da lief er auch einmal gemeinsam mit seinen Studierenden Sturm gegen ein Abrissvorhaben der Stadt – leider vergeblich: Bernhard Pfaus elegantes Studienhaus-Ensemble am Landtag, keine 30 Jahre alt und unter Denkmalschutz stehend, verschwand auf Ratsbeschluss aus dem Stadtbild. Andererseits gelang es dem Architekten und Stadtgestalter Fritschi, als maßgeblich Mitbeteiligter Düsseldorf zu Errungenschaften zu verhelfen, die – allen anfänglichen Widerständen zum Trotz – heute niemand mehr missen möchte. Es sind dies vor allem, in enger Verknüpfung: die Neugestaltung des untertunnelten Rheinufers mit der bestechend klaren Promenade (deren geplante Wellenplatten zunächst als gesundheitsgefährdend galten); die kühne Platzierung des Apollo-Varietés unter der Kniebrücke; schließlich das KIT, die „Kunst im Tunnel“, im ohnehin vorhandenen unterirdischen Restraum, gepaart mit dem Café darüber. Alles Projekte, über deren Begleitumstände Fritschi in seinem (auch wunderbar gestalteten) Buch freimütig und amüsant aus dem Nähkästchen erzählt.

Um die Jahrtausendwende begann er sich intensiv dem eigenen Stadtteil, in dem er lebt, zu widmen: Düsseldorf-Gerresheim. Hier engagierte er sich im Förderkreis Industriepfad und realisierte als Architekt außerdem eine Reihe innovativer und sozial ausgewogener Wohnprojekte, getreu seiner Überzeugung: „Für mich bleibt der Wohnungsbau die zentrale Disziplin der Architektur.“ Zu den Paradebeispielen gehören seine farbenfrohen Bauten im Heinrich-Könn-Quartier.

Am 27. Januar begeht Niklaus Fritschi seinen 81. Geburtstag. Die Augenkrankheit verwehrt ihm längst das geliebte Zeichnen und Malen. An seinen Gedanken und Erinnerungen aber kann er weiterarbeiten. Ein Nachfolgebuch über „Politisches, Gesellschaftliches und auch meine persönliche Befindlichkeit in unserer turbulenten Zeit“ hat er schon angekündigt. Wir sind gespannt darauf.

Olaf Cless

Niklaus Fritschi: Über Leben und Bauen. Vom Bauzeichner in Rorschach zum Städtebauer in Düsseldorf. Droste Verlag 2025, 232 Seiten, reich illustriert, 35 Euro