Schöner entgleisen mit Heiko Seidel, Susanne Pätzold, Daniel Graf und Martin Maier-Bode © Christian Rolfes

Kultur

Düsseldorf

Tohuwabohu im Hobbyraum

(oc). Malte hat genug von den täglichen Bad News. Einfach mal eine Weile abtauchen in die schöne Welt seiner Märklin-Eisenbahn! Klappt aber nicht: Die besorgten Freunde rücken an, wollen ihn aufmuntern, therapieren, mit Pizza füttern. Bald machen sich sogar wildfremde Airbnb-Gestalten in der Wohnung breit, die Malte nie gerufen hat. Eine Finne, ein Brite, eine Italienerin … Manche kennt man sogar: Jörg Schöneborn mit seinen Prozentzahlen oder Dr. Ursula von der Leyen, deren alkoholisch gelöste Zunge endlich mal Klartext redet. Selbst ein Neanderthaler taucht auf. Wieso und warum, wäre etwas kompliziert zu erklären, aber im Kom(m)ödchen passiert alles völlig folgerichtig. Schließlich sind da ausgebuffte Macher und fantastisch aufgedrehte Darsteller am Werk. Die saukomischen Verwicklungen erreichen Ausmaße, dass man um akute Zwerchfellerschütterungen im Saal fürchten muss. Mit Nö. Eine Entgleisung hat sich das Kom(m)ödchen wieder mal selbst übertroffen.

Zahlreiche Termine in Düsseldorf, ein Gastspiel in Brüggen. Auch „Don’t look back“ ist weiter im Programm. kommoedchen.de

 

 Flussarchipel von Marauia, Rio Negro, Bundesstaat Amazonas, Brasilien, 2019 © Sebastião Salgado

Köln

Schönheit und Verletzlichkeit des Regenwalds

(oc). Weltbekannt sind die Fotografien des Brasilianers Sebastião Salgado, der im vergangenen Mai 81-jährig gestorben ist – etwa seine monumentalen Bilder von den Goldschürfern in einer Mine, den brennenden Ölquellen in Kuwait während des zweiten Golfkriegs oder auch den noch unberührten Landschaften der Erde, die er uns im Zyklus Genesis vor Augen hielt. Salgados letztes großes Projekt galt Amazoniens Regenwald und den indigenen Gesellschaften, die ihn prägen und bewahren. Dieses wird, erstmalig in Deutschland, eindrucksvoll präsentiert in der Ausstellung AMAZÔNIA im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum. Kuratiert hat sie Lélia Wanick Salgado, Architektin, Urbanistin und langjährige künstlerische Partnerin und Ehefrau des Fotografen. Beide riefen 1998 in ihrer Heimat auch schon das Instituto Terra ins Leben, ein überaus erfolgreiches Modellprojekt für Wiederaufforstung und den Schutz bedrohter Ökosysteme.

Bis 15. 3. im Rautenstrauch-Joest-Museum, Cäcilienstraße 29-33, 50667 Köln; Begleitprogramm u. a. mit indigenen Gästen aus den Ländern des Amazonasgebiets

 

Darf es eine Blutsuppe sein? Florian Kager in der Moerser Inszenierung. Foto: Jakob Studnar

Moers

Der vergrabene Frieden

(oc). Unter neuer Intendanz und mit weitgehend neuem Ensemble ist das Schlosstheater Moers in die Herbst-Winter-Spielzeit gestartet. „Radikale Zeitgenossenschaft“ hat es angekündigt und diesen Anspruch auch gleich mit einer viel gelobten Inszenierung von Aristophanes‘ antiker Komödie Der Frieden in einer Bearbeitung des Franzosen Antoine Vitez unterstrichen. Seit 13 Jahren wütet der Krieg zwischen Athen und Sparta. Es reicht! Der Weinbauer Trygaios fliegt auf einem Mistkäfer zum Olymp, er will erfahren, was die Götter planen. Doch die haben sich längst frustriert zurückgezogen. Nur Polemos, der Kriegsgott, wütet weiter herum. Die Göttin des Friedens, brüstet er sich, habe er in einen Schacht geworfen. Der befindet sich zufällig im Garten von Trygaios. Also muss der Frieden ausgegraben werden … „Bei allem Spaß an Satire und körperbetontem Spiel“, schreibt der Kritiker Stefan Keim, „behält die Aufführung eine allgemeingültige, philosophische Ebene.“

10., 16., 24., 30. 1., 19:30 Uhr, Schlosstheater Moers, Kastell 9, 47441 Moers

 

Sofia Pekkari in der Rolle der Astrid Lindgren. Foto: farbfilm-verleih.de

Kino

Astrid Lindgrens Kriegstagebücher

(oc). „Die Menschheit hat den Verstand verloren“, schreibt Astrid Lindgren in ihren Tagebüchern aus den Kriegsjahren 1939-1945. Diese Aufzeichnungen, in denen sie sich als scharfe Beobachterin des Geschehens erweist und immer wieder zu ergründen versucht, warum sich so viele Menschen von einem Diktator wie Hitler derart irreführen lassen, waren lange unbekannt, sogar in der Familie Lindgren selbst, und erschienen erst vor zehn Jahren in Buchform. Der deutsche Regisseur Wilfried Hauke zeichnet jetzt in einer Mischung aus Dokumentarfilm und gespielten Szenen jene Zeit nach, in der Astrid Lindgren durch ihre kriegsbedingte Tätigkeit als Postzensorin erschütternde Einblicke in die Judenverfolgung erhält, während sie gleichzeitig ihrer kränkelnden kleinen Tochter mutmachende Geschichten von Pippi Langstrumpf erzählt, aus denen später ihr erster Welterfolg als Autorin wird. Außer Tochter Karin (Jahrgang 1934) kommen im Film auch Enkelin Annika und Urenkel Johan zu Wort.

Die Menschheit hat den Verstand verloren“, ab 22. 1. im Kino

 

Fotos und Texte

Fenster in die Vergangenheit

Seit 15 Jahren gibt es die Fotografische Sammlung im Stadtmuseum Düsseldorf, einen Bild- und Erinnerungsspeicher, der auf über 100.000 Objekte angewachsen ist und ständig weiterwächst. Jetzt liegt erstmals ein Buch vor, das einen umfassenden Einblick in die Sammlung bietet. Die ausgewählten Schätze, von der Frühzeit des Fotografie bis fast in die Gegenwart reichend, präsentieren sich in hoher Druckqualität; die drei Buchabschnitte Mensch, Raum, Geschichte sorgen für eine sinnvolle erste Gliederung der Materialfülle; und immer wieder bieten eingeschobene Kurzkapitel spezielle Vertiefung an, indem wir bemerkenswerte Lokalmatador*innen der Szene kennenlernen wie Erwin Quedenfeldt (1869-1948), der eine eigene „Lehr- und Versuchsanstalt für Photographie“ betrieb, Isolde Strauß (1913-1998), die die Modefotografie der Nachkriegsära mitprägte, oder Dirk Alvermann (1937-2013), den Autodidakten, dem es in seinen Aufnahmen um soziale und politische Aussagekraft ging. Eines der weiteren Sonderkapitel handelt vom eigenartigen kolonialen Ägypten-Exotismus auf der Düsseldorfer Industrie- und Gewerbeausstellung 1902, wo man eine ganze „Kairo-Straße“ samt Kamelen inszenierte (und die Ansichten in gediegenen Fotomappen feilbot). Eine ganz andere Geschichte wiederum erzählt der 1989 im Werstener Übergangsheim Schiessstraße entstandene Zyklus von Richard Reisen: Er porträtierte die Asylbewerber verschiedenster Herkunft in ihrem langen „Alltag des Wartens“.

Dieser gelungene Bildband lädt zum aufmerksamen Flanieren durch die Lebenswelten und Epochen ein, die er dokumentiert. Der Weg führt vielleicht vom gerade niedergebrannten Stadtschloss über die Kiefernstraße anno 1985 und die Kö 2004 (aus Obdachlosen-Perspektive) zur Rheinischen Metallwaren- und Maschinenfabrik (später Rheinmetall) 1906, wo gerade eine chinesische „Studienkommission“ in Militäruniform zu Besuch ist, und weiter zur Flurstraße im Frühjahr 1945, als gerade amerikanische Panzer einrollen. Nur mal als Beispiele.

Mensch, Raum, Geschichte. Die Fotografische Sammlung im Stadtmuseum Düsseldorf. Redaktion Daria Bona und Christoph Danelzik-Brüggemann. SHIFT BOOKS, Berlin, 264 Seiten, 25 Euro (Schriftenreihe Stadtmuseum)

olaf cless

 

Sachbuch

Berichte von „ganz unten“

2024 waren in Deutschland über eine Million Menschen wohnungslos. Ein beschämender neuer Rekord. Konsequenz auch der stetig wachsenden Armut, von der in Deutschland bereits mehr als jede(r) Fünfte (20,9 %) betroffen ist. So viel über Arme gesprochen wird, so wenig sprechen sie selbst. Der Soziologe Christopher Wimmer lässt sich in seinem Buch von Betroffenen selbst schildern, was es heißt, mit Armut und Ausgrenzung konfrontiert zu sein. Er hört jenen zu, die ganz unten leben und über deren Los meist von oben entschieden wird – mit „Instrumenten“ wie Hartz IV oder Bürgergeld, mit „Leistungsanreizen“ oder Sozialkürzungen. Wimmer selbst dazu: „Bücher mit Titeln wie Leben ganz unten bergen die Gefahr, Vorurteile zu verstärken, Menschen in Schubladen zu stecken oder moralische Appelle zu formulieren. Dies ist nicht mein Anliegen. Mein Zugang zu den Themen Armut und Ausgrenzung erfolgt aus der Perspektive der Menschen selbst, die sozial ‚ganz unten‘ sind. Ihre Erfahrungen stehen jedoch nicht nur für ihre individuellen Geschichten, sondern spiegeln die Realität einer ganzen sozialen Gruppe wider“. Armut und Marginalisierung, so schließt Wimmer aus den Gesprächen, sind nicht zuletzt auch „ein Produkt von menschlicher Praxis, von Macht und Gehorsam, Herrschaft und Unterdrückung“, ein Schicksal, das die Gesellschaft dem Einzelnen auferlegt. – Ein Buch, das den Leser immer wieder auch zu der Frage anregt, ob und wie es nicht auch anders sein könnte.

Christopher Wimmer: Leben ganz unten. Perspektiven vom Rand der Gesellschaft. Papyrossa Verlag, 182 Seiten., br., 16,90 Euro

hans peter heinrich

 

Wörtlich

„Haben sie sich verflogen? Russische Kampfjets in russischem Luftraum entdeckt.“

Eine von vielen aktuellen „Meldungen“ der Satireplattform „Der Postillon“, die neuerdings auch eine monatliche Printzeitung herausbringt