Grokipedia versus Wikipedia
Elon Musk, dem reichsten Menschen der Welt, auf dem Sprung zum Billionär, war die seiner Meinung nach „von linken Aktivisten“ betriebene Online-Enzyklopädie Wikipedia schon lange ein Dorn im Auge. Nun hat er mit Grokipedia ein KI-Lexikon als Alternative an den Start gebracht. Was hat es damit auf sich?
Lange zog der Unternehmer Jimmy Wales in den USA mit der Idee durch die Lande, das Wissen der Welt zu sammeln und es für alle kostenlos zugänglich zu machen. Für diese Vision erntete er zunächst allenthalben Spott, bis er den Internet-Projektentwickler Larry Sänger für seine Idee gewinnen konnte. Im Januar 2001 gründeten sie mit Wikipedia gemeinsam die erste frei zugängliche Online Enzyklopädie. Heute, 25 Jahre später, gehört sie zu den meistabgerufenen Seiten im Internet, auf denen man so ziemlich alles online nachschlagen kann. Aktuell existieren darin rund 65 Millionen Artikel weltweit in über 300 Sprachen, die von einer globalen Gemeinschaft von Freiwilligen erstellt und gepflegt werden. Allein die deutschsprachige Version erreicht über 3 Millionen Beiträge, die täglich von Millionen Menschen als Informationsquelle genutzt werden.
Wikipedia ermöglicht jedem Menschen nicht nur freien Zugang zu Wissen, sondern bietet überdies auch allen die Möglichkeit an dem Projekt aktiv mitzuwirken. Die Enzyklopädie steht allen offen. Jeder kann sie lesen, jeder kann auch an ihr mitschreiben, der sich weltanschaulich, religiös und politisch an das Grundprinzip der Neutralität hält. Die Beiträge werden von anderen Nutzern gegengecheckt. Auch wenn es hin und wieder zu Ausreißern kommt, gelten die Texte als verlässlich und werden nicht nur von Journalisten zu Belegzwecken herangezogen, sondern auch im akademischen, politischen und juristischen Bereich. Heute zweifelt kaum noch jemand an ihrer Bedeutung als ein Meilenstein faktenbasierten Wissens. „Die Wikipedia ist ein Symbol dafür, was gut am Netz ist. Sie ist die Substanz unseres kulturellen Schaffens“, meint Pavel Richter, der Vorsitzende des deutschen Trägervereins Wikimedia, der 2011 die Initiative „Wikipedia muss Weltkulturerbe werden“ startete. Begründung: praktisch alle Kulturgüter der Liste wurden von oben geschaffen, von Potentaten oder Organisationen wie der Kirche angeordnet und finanziert. Die Wikipedia wäre das erste Werk darin, das von unten kommt.
Wikipedia-Logo
Wikipedia finanziert sich über Spenden von Privatpersonen und Unternehmen. Die Gesamteinnahmen im Geschäftsjahr 2022/2023 betrugen 175 Mio. Dollar. Für Multi-Milliardär Elon Musk eine lächerliche Summe. Mit einem schlüpfrigen Wortspiel bot er der Wikimedia-Foundation eine Spende von einer Milliarde Dollar an, wenn sie sich ein Jahr lang in „Dickipedia“ umbenennen würde. Er monierte, dass die Organisation ein Drittel ihres Budgets für Maßnahmen für Gleichberechtigung und Inklusion ausgab. Elon Musk, selbst für seine rechten Ansichten und sein Engagement für rechte Parteien wie die AFD oder Nigel Farages Reform UK bekannt, steht mit Wikipedia schon lange auf Kriegsfuß, weil sie politisch nicht auf seiner Linie liegt. Wikipedia sei eine Brutstätte der „Wokeness“, sei nicht objektiv, habe eine linke politische Ausrichtung und verbreite „Propaganda der Mainstream-Medien“. Musk zitiert dazu den KI-Beauftragten der Trump-Regierung: Wikipedia sei „hoffnungslos politisch voreingenommen“, wende sich gegen „vernünftige Korrekturen“ und sei „eine Verleumdungsmaschine der Linken“.
Im Oktober 2025 hat er nun mit Grokipedia ein eigenes KI-Lexikon an den Start gebracht, entwickelt von seiner KI-Firma xAi auf der Basis des umstrittenen KI-Chatbots Grok. Grokipedia werde eine „massive Verbesserung im Vergleich zu Wikipedia“ darstellen, verspricht Musk, sie sei „ein notwendiger Schritt zum Ziel von xAI, das Universum zu verstehen“. Grok solle das „gesamte menschliche Wissensarchiv neu schreiben – fehlende Informationen ergänzen und Fehler löschen“.
Die Webseite kommt minimalistisch daher, mit einer Suchmaske auf dunklem Hintergrund, Artikeln mit Quellenverweisen und einem Zähler der aktuell rund 885.000 Artikel anzeigt. Die Grokipedia-Artikel werden nicht von Menschen erstellt, sondern offenbar komplet von Grok, dem KI-Chatbot von xAI. Der Bot durchforstet verschiedene Quellen und generiert von der künstlichen Intelligenz (KI) Grok. Nutzer können keine Artikel direkt bearbeiten, sondern nur Korrekturen vorschlagen. Die größte Schwäche von Grokipedia liegt in der In-Transparenz. Bei Wikipedia kann jeder sehen, wer einen Artikel wann und warum geändert hat. Bei Grokipedia fehlt diese Transparenz komplett. Die KI entscheidet, was wahr ist – aber nach welchen Kriterien? Grok selbst wurde auf X-Daten trainiert, einer Plattform, die für Desinformation und politische Polarisierung bekannt ist.
Nutzer bemerkten schnell, dass Grokipedia Texte aus Wikipedia direkt übernimmt. Das ist rechtlich zwar in Ordnung – Wikipedia-Inhalte dürfen unter dieser Lizenz weiterverwendet werden –, aber es widerspricht Musks Anspruch, eine echte Alternative zu schaffen. Gravierend ist, dass Grokipedia die von Wikipedia übernommenen Artikel nicht selten „anreichert mit Fehlern und einer rechtsextremen Tendenz“, wie Die Presse urteilt. Die Philosophie-Professorin Carolina Flores von der University of California stellt fest, dass Grokipedia viele rechtsextreme Narrative als Fakt präsentiere und es Musk bei der Schaffung der Plattform wohl darum gegangen sei, Wikipedia durch eine Quelle für Allgemeinwissen zu ersetzen, die seinen rechtsextremen Ansichten entgegen komme. Es sei zwar nicht zu befürchten, dass plötzlich große Massen rechte Verschwörungstheorien glaubten, das Problem sei allerdings, „dass eine (wachsende) Randgruppe rechtsextremer Anhänger neue Rechtfertigungen für ihre Ansichten finden wird, wodurch sie noch mutiger und noch schwerer zu erreichen oder zu überzeugen sein werden“, was den Dialog mit dieser Gruppe weiter erschweren würde. Insgesamt sei es wahrscheinlich, dass die Grokipedia vor allem von Menschen genutzt werde, die nach einer Bestätigung ihres vorgefassten Weltbildes suchten. Die Zeit formuliert es griffiger: Grokipedia sei ein „Spiegelkabinett aus Wissen, Halbwissen, Propaganda und reinem Bullshit“.
Hans Peter Heinrich
Bild 2: Elon Musk, September 2025. Foto: Gage Skidmore / Wikipedia