Anstatt die dramatische Steigerung der Wohnungsmieten wirksam zu bremsen, wird durch Wohngeld die Preispolitik vor allem der großen Wohnungsunternehmen mit öffentlichen Mitteln subventioniert. (Karikatur: Gemini)

Abzocke: Wie Wohnungskonzerne vom Sozialstaat profitieren

Die Ankündigung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), schon im Sommer 2025 werde es dank der Politik der neuen schwarz-roten Regierung zu einer spürbaren Belebung der wirtschaftlichen Entwicklung kommen, hat sich nicht erfüllt. Wird nach den hausgemachten Gründen für die missliche Lage gefragt, kommt von konservativ-neoliberaler Seite mit Sicherheit das Argument, der viel zu großzügige Sozialstaat sei dafür verantwortlich. Das Geld würde dringender zur Ankurbelung der Wirtschaft gebraucht. Ein Kommentator in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat diese Sichtweise kurz und bündig auf den Punkt gebracht: „Der Sozialstaat erwürgt das Wachstum“ (FAZ 1.9. 2025). 


 

Kritik am Sozialstaat


Mit seiner Behauptung, „der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, (sei) mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar.“ (ARD 23.8. 2025) hat Bundeskanzler Friedrich Merz den Ton für eine umfassende Kampagne gegen angeblich ausufernde sozialstaatliche Leistungen gesetzt. Tatsächlich entfällt auf das Ministerium für Arbeit und Soziales mit 190,3 Mrd. Euro der größte Einzeletat des Bundeshaushalts (2025: 502,5 Mrd.). Mit knapp 71 % machen dabei staatliche Zuschüsse in die Rentenkasse und für die Grundsicherung im Alter den Löwenanteil aus. Im Mittelpunkt der Sozialstaatskritik steht jedoch das Bürgergeld (Grundsicherung für Arbeitssuchende SGB II, 29,6 Mrd. €) und besonders die staatlichen Zuschüsse für Miete und Heizung (13 Mrd. €). Aus Sicht der Konservativen und von Wirtschaftsverbänden müsse das Gesetz dringend reformiert werden, da es eine Einladung zum Sozialbetrug sei. Die Zahl der Totalverweigerer, die es sich in der sprichwörtlichen „sozialen Hängematte“ gut gehen lassen, wird von Experten allerdings als verschwindend gering eingeschätzt. 
Bundeskanzler Friedrich Merz hatte besonders die Erstattung der hohen Wohnkosten ins Visier genommen. Dass man Bürgergeldhaushalten in Großstädten bis zu 20 Euro pro Quadratmeter bezahle, sei einfach zu viel (FAZ 19.7.2025). Damit hat er zweifellos Recht: Solche Mietpreise sind in der Tat zu hoch. Nur sind solche Mieten in Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt, vor allem in den Großstädten, längst keine Ausnahmen mehr. Und wo es mangels bezahlbarer Wohnungen keine Ausweichmöglichkeiten für Bürgergeldbezieher*innen gibt, müssen die zuständigen Jobcenter notgedrungen auch unangemessen hohe Mieten selbst für sanierungsbedürftige Wohngebäude und Wohnungen zahlen. Damit werden die Mietpreise mit staatlichen Mitteln weiter nach oben getrieben.
Diese Zwangslage, bedingt durch den Preisdruck des Wohnungsmarktes, wird von kriminellen Banden für organisierten Sozialbetrug mit heruntergekommenen Problemimmobilien und Armutsmigranten ausgenutzt. Weniger bekannt ist allerdings, dass auch seriöse Wohnungsunternehmen wie Vonovia und LEG den gravierenden Mangel an bezahlbarem Wohnraum ausnutzen, um staatliche Mittel abzugreifen. Branchenintern ist sogar von einem „Hartz-IV-Geschäftsmodell“ die Rede. Vonovia und LEG sind börsennotierte Unternehmen, die ihren Aktionären verpflichtet sind und deshalb nach höchstmöglichem Gewinn streben. „Die Sozialleistungen ufern auch deshalb aus, weil die Empfänger dieser Leistungen irgendwo wohnen müssen - und ihre Wohnungen immer teurer werden ... Wir haben es hier mit einer gewaltigen Umverteilung von unten nach oben zu tun“, so Catarina Lobenstein in der ZEIT (2. 7. 2025).


Das Hartz-IV-Geschäftsmodell


Auf dem Immobilienmarkt zeigt sich nach mehrjähriger Krisenphase allmählich Licht am Ende des Tunnels. Die großen Wohnungsunternehmen haben im Jahr 2025 dank sprudelnder Mieteinnahmen wieder hohe Dividenden an Aktionäre ausgeschüttet: knapp 1 Mrd. Euro waren es bei Vonovia, 200 Mio. Euro bei der LEG. Die Immobilienpreise steigen wieder. Noch stärker legen aber die Mieten zu. Das betrifft besonders die großen Städte. Mit einer Steigerung der Durchschnittsmiete um 5,6 % gegenüber dem Vorjahr liegt Düsseldorf derzeit auf dem ersten Platz (IW-Report 50-2025). Vonovia und LEG verfügen bundesweit zusammen über ca. 600.000 Wohnungen, großenteils in Mehrparteienwohnhäusern, davon viele im unteren Preissegment und oft in Stadtvierteln mit niedrigen Durchschnittseinkommen. Zahlreiche Bewohner*innen sind hier auf den Bezug von Bürgergeld angewiesen. In diesen Fällen werden die Wohnkosten (Miete plus Nebenkosten) von den Jobcentern übernommen. Bezieher*innen von Bürgergeld bekommen die Mietsteigerungen also nicht direkt zu spüren. Neben dem inflationsbedingten Anstieg der Regelsätze gehören die steigenden Wohnkosten zu den Hauptgründen für die wachsenden staatlichen Ausgaben für Bürgergeldbezieher*innen.
Hinzu kommt, dass viele der Bürgergeldbezieher*innen in sanierungsbedürftigen maroden Wohnhäusern leben, mit bröckelnden Fassaden, feuchtem Mauerwerk und Schimmel in den Wohnungen wie zum Beispiel in Lüneburg-Kaltenmoor. Diese Wohnsiedlung gehört Vonovia. Sie ist kein Einzelfall. Seitens der großen Wohnungsunternehmen besteht hier kein Anreiz, in die Verbesserung der Wohnsituation zu investieren. Klagen und Proteste der Betroffenen bleiben meist aus Angst vor Kündigung aus. Wegen der Mängel auf Mietminderung zu bestehen, hätte für die Bewohner*innen auch keinen Vorteil, da die Mietkosten vom Jobcenter übernommen werden. Die für die Auszahlung des Bürgergelds zuständigen Jobcenter kümmern sich nicht um den Zustand der Wohnungen. Das Mietverhältnis sei Privatsache der Mieter*innen, in das man sich nicht einmischen könne. Auf diese Weise profitieren die großen Wohnungsunternehmen doppelt: Ihre Mieten werden pünktlich aus Steuermitteln bezahlt und zugleich wird kräftig an Instandhaltungs- und Sanierungskosten zu Lasten der Mieter*innen gespart. Mit größerem Widerstand ist nicht zu rechnen. Knut Unger, Sprecher des Mieter*innenvereins Witten und Vonovia-Kritiker bringt das Problem auf den Punkt: „Den Unternehmen geht es nicht vorrangig um die Instandhaltung von günstigem Wohnraum, sondern um die Vermehrung von Geld“. Das bräuchten sie, so Unger, um die hohen Dividenden an die Aktionäre ausschütten zu können. Nachvollziehbar ist es jedenfalls nicht, Milliardenbeträge an private Wohnungskonzerne zu überweisen, ohne zu prüfen, ob notwendige Instandhaltungs- und Sanierungsarbeiten auch ausgeführt werden.




Öffentlich geförderte Sozialwohnungen und Wohngeld


Neben unlauterer Abzocke und offenkundigem Sozialbetrug gibt es aber auch völlig legale Wege, wie die Immobilienwirtschaft in den Genuss von Subventionen kommt, die mit öffentlichen Mitteln finanziert werden: die Förderung preisgebundener Sozialwohnungen und das Wohngeld. Die Förderung preisgebundener Wohnungen erfolgt seit der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit im Jahr 1990 nur zeitlich befristet. In NRW liegt diese Frist derzeit bei 25 oder 30 Jahren. Mit der staatlichen Förderung wird der Wohnungseigentümer dafür entschädigt, nicht die marktmögliche, sondern nur die vertraglich vereinbarte niedrigere Miete zu verlangen. Nach Ende der Bindungsfrist können die Eigentümer ihre Wohnungen dann zu marktüblichen Preisen vermieten oder verkaufen.
Wohngeld wird hälftig von Bund und Land finanziert und als Zuschuss zu den Mietkosten gezahlt. Haushalte mit niedrigen Einkommen sollen unterstützt werden, damit sie ihre Mietkosten tragen können. Alle zwei Jahre erfolgt eine Anpassung an die Preisentwicklung. Anstatt die seit Jahren zu beobachtende dramatische Steigerung der Wohnungsmieten wirksam zu bremsen, wird auf diese Weise die Preispolitik vor allem der großen Wohnungsunternehmen mit öffentlichen Mitteln subventioniert.

Gibt es Alternativen?
Wie lassen sich die ständig steigenden, aus Steuermitteln finanzierten Wohnkostenzuschüsse für Bürgergeldempfänger*innen reduzieren? Wie wäre es mit mutigen Interventionen der Politik in den Wohnungsmarkt: Zum Beispiel mit einem bundesweiten Mietendeckel, um den Mietenanstieg zu bremsen? Oder mit dem Aufbau eines gemeinwohlorientierten kommunalen Wohnungssektors, der bezahlbare Wohnungen garantieren könnte? Die staatlichen Subventionen zugunsten der Wohnungskonzerne wären auf diese Weise jedenfalls besser angelegt.


Helmut Schneider (Bündnis für bezahlbaren Wohnraum)