Kultur
Düsseldorf
Jonglieren und Musizieren
(oc). Zum 35. Mal präsentiert das Düsseldorf Festival, vormals Altstadt Herbst, erlesene internationale Tanz-Shows, Zirzensisches, Konzerte, Crossover-Kreationen u. a. m. Für die letztgenannten ein Beispiel aus dem diesjährigen Programm: Das französische Collectif Petit Travers, bestehend aus zehn Jongleur*innen, tritt in Dialog mit dem Streichquartett Quatuor Debussy – mit verblüffender Wirkung (26./27. 9.). Aber auch abseits der großen Spektakel im Theaterzelt am Burgplatz hat das Festival Charmantes zu bieten. Das Trio um den Saxofonisten Daniel Schnyder mixt seine Programme Händel in Harlem und Vivaldi Revisited (16. 9.), Musikredakteur Wolfram Goertz steigt für sein „betreutes Hören“ wieder auf die Kanzel (17./18. 9.), Vokal-Artist Andreas Schaerer lässt nicht vorhandene Instrumente erklingen (18. 9.), und die Düsseldorfer Singer-Songwriterin Tossia Corman präsentiert mit dem Gitarristen Philipp van Endert Lieder zwischen Jazz, Pop, Hip-Hop und Soul (19. 9.).
10.-28. 9., duesseldorf-festival.de
Eine Lesung übers Lesen
Junge Dame mit Wachstafelbuch und Stift, Pompeji, 1. Jahrhundert. Foto: wikipedia/org
(oc). Uns Leserinnen und Leser gibt es, betrachtet man die Menschheitsgeschichte insgesamt, erst seit Kurzem. Andererseits kommen uns 5000 Jahre schon viel vor – so lange gibt es die Schrift und folglich auch das Lesen. Bis zur Erfindung des Alphabets, zunächst in einer phönizischen Variante, vergingen nochmal fast zwei Jahrtausende, bis dann besonders in Griechenland die Schriftkultur aufblühte. Das Buch hatte zunächst die Gestalt der Schriftrolle, Ägypten lieferte dafür den unentbehrlichen Rohstoff Papyrus. Leider war das Material höchst empfindlich, so dass die Verluste in der Überlieferung riesig sind. Doch was den Zeiten trotzte, bleibt faszinierend genug. – Für eine Matinee unter dem Titel Kleine Weltgeschichte des Buches hat Olaf Cless einen unterhaltsamen Streifzug durch die griechische und römische Antike vorbereitet. Mit ihm werden Mirjam Wiesemann und Hans Peter Heinrich lesen, Ivan Tsymbal lässt eine frische Brise durch sein Akkordeon wehen.
21. 9., 11 Uhr, zakk, Fichtenstr. 40, mit kleinem Frühstück. Veranstalter: Heinrich Heine Salon e. V. und zakk, in Kooperation mit dem DA!
Essen
Dem Echo lauschen
Seine Kunst entsteht „aus dem Tun heraus“: William Kentridge. Foto: Norbert Miguletz
(oc). Der südafrikanische Künstler William Kentridge wurde in den 1990er Jahren international bekannt mit animierten Kurzfilmen, die auf Kohlezeichnungen basieren und politische mit persönlichen Geschichten verflechten. Längst konzipiert Kentridge auch Bühnenstücke und inszeniert Opern, wobei seine Zeichnungen weiterhin eine wichtige Grundlage bilden. Themen wie Kolonialismus, Sklaverei und Apartheid spielen dabei eine große Rolle. Anlässlich seines 70. Geburtstags widmen das Museum Folkwang und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden dem Künstler die Doppelausstellung Listen to the Echo. In Essen werden Trickfilme und Multimedia-Arbeiten, Zeichnungen und Grafiken sowie Skulpturen und Tapisserien gezeigt. Besonderes Augenmerk liegt auf verborgenen Bezügen zur wechselvollen Geschichte des Ruhrgebiets. In der Philharmonie Essen läuft zweimal (25./26. 9.) Kentridges Film Oh To Believe In Another World mit Musik von Schostakowitsch und Strawinsky.
4. 9. bis 18. 1. 2026, Museum Folkwang, Museumsplatz 1, 45128 Essen
Kino
„Was ich nicht weiß, kann ich malen“
Wieviel Wahrheit liegt im Bild? Edgar Selge als Leibniz, Aenne Schwarz als seine Malerin. © if … Productions ERF – Edgar Reitz Filmproduktion
(oc). Edgar Reitz, der große alte Filmregisseur, berühmt geworden vor allem durch seine monumentale Langzeit-Filmreihe Heimat, hat in den vergangenen Jahren an einem Herzensprojekt gearbeitet: Eine Lebenschronik des Aufklärers und Universalgelehrten Leibniz sollte es werden, doch das sprengte schnell alle Budgetgrenzen. So entstand mit Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes dann ein intensives Kammerspiel um den – längst arrivierten – Philosophen (Edgar Selge), der sich auf Wunsch von Königin Charlotte von Preußen (Antonia Bill), seiner einstigen Schülerin, porträtieren lässt. Die Prozedur gestaltet sich schwerer als erwartet: Die Sitzungen mit dem Hofmaler Delalandre (Lars Eidinger) enden im Fiasko. Erst als die holländische Malerin Aaltje van De Meer (Aenne Schwarz) übernimmt, kehrt eine produktive Atmosphäre ein und das Gespräch über Kunst und Wahrheit bekommt Dynamik – allerdings nicht genügend, wie manche Kritiker meinen.
Ab 18. 9. im Kino, 102 Minuten
Roman
Ökonomie versus Ökologie
Sie ist die Frau fürs Grobe, die skrupellose, verführerische Sadie Smith, Protagonistin und zugleich Ich-Erzählerin des Romans. Sie verfügt über große künstliche Brüste, wie sie nicht oft genug hervorheben kann, über einen moralischen Kompass verfügt sie nicht. Vom CIA gefeuert, nimmt die 34-Jährige nun für Geld jeden Undercover-Einsatz an. Ihr aktueller Job: Von einem namenlosen Auftraggeber wird sie in eine ländliche Gegend Südfrankreichs geschickt, um dort eine Gruppe von Öko-Kommunarden und Jungbauern zu infiltrieren und zu Straftaten anzustiften, damit die Behörden einen Grund haben, die Gruppe aufzulösen. Die Kommune wehrt sich gegen die ökologisch verheerende Politik der Agrarindustrie und sabotiert den Bau riesiger Wasserbecken, welche Landwirtschaft im industriellen Stil ermöglichen sollen, dabei aber das Ökosystem aus dem Gleichgewicht zu bringen drohen. Intellektueller Kopf der Gruppe ist der über 80-jährige Bruno Lacombes. Einsam in einer Neandertalerhöhle lebend, hält er mit der Außenwelt nur noch per E-Mail Kontakt. Er lehnt die Zivilisation ab und sieht die Rettung der Menschheit in der Rückwendung zu ihren Ursprüngen. Der Sündenfall der Menschheit, so Brunos These, war der Übergang vom sanften, kollaborativ agierenden Neandertaler zum eigennützigen und ausbeuterischen Homo sapiens, dem stetigen Konsum hörig und gewalttätig gegenüber der Natur. „Aktuell“, schreibt er in einer seiner Mails, „steuern wir in einem funkelnden, führerlosen Wagen auf die Auslöschung zu, und die Frage ist: Wie steigen wir da aus?“ Die abgebrühte Sadie gerät mehr und mehr in den Bann dieses Mannes. See der Schöpfung vereinigt Thriller und philosophischen Roman zu einem spannenden Lesevergnügen. Das Buch stand 2024 auf der Shortlist für den renommierten Booker Prize. Die Jury begründete das mit der „elektrisierenden Verknüpfung von aktueller Politik mit einer dunklen Gegengeschichte der Menschheit“. Der Roman sei ein tiefgründiger, „unwiderstehlicher Pageturner.“ Ein Urteil, dem wir uns uneingeschränkt anschließen.
Rachel Kushner: See der Schöpfung. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell. Rowohlt 2025, 480 Seiten, 26 Euro
hans heter heinrich
Erzählung & Illustrationen
Fast ein Paradies
(oc.) Monika Helfers Erzählung handelt von einer Familie, von Krieg und Armut, von den Bergen, der Liebe und dem Tod und besonders von der Liebe zu Büchern. Von lauter schwerwiegenden Dingen also, und doch ist sie federleicht erzählt, wie aus dem Ärmel geschüttelt, kein Wort zu viel, kein unnötiger Satz. Wie zum Vorlesen geschaffen für angehende Bücher- und Menschenfreunde gleich welchen Alters. Monika heißt nicht nur die Buchautorin, so heißt auch die Erzählerin, die da im Buch von ihrer Kindheit berichtet. Beide sind mehr oder weniger ein und dieselbe. „Mein Vati hatte nur ein gesundes Bein“, heißt es schon nach wenigen Sätzen, „das andere war ihm im Krieg erfroren.“ Im Lazarett lernte er eine nette Krankenschwester kennen, die dann Monikas Mutti werden sollte. Der einbeinige Vati hatte noch mehr Glück und bekam eine Stelle als Verwalter eines Kriegsopfer-Eerholungsheims hoch in den österreichischen Bergen. Das wurde das Zuhause der jungen Familie. Eine Idylle mit kleinen Unterbrechungen, wenn wieder die Invaliden eintrudelten. Ein ferner Professor schenkte dem Heim seine stattliche Bibliothek, so dass sich die Familie obendrein in einem Leseparadies wiederfand. Bis eines Tages ein Schreiben kam: Das Heim werde geschlossen, die Bücher würden bald abgeholt und verkauft. Vati geriet in Alarmstimmung. Ohnehin, weil Mutti inzwischen sehr krank war. Und jetzt noch das mit den Büchern. Er schmiedete einen Plan etwas am Rande der Legalität. Monika wurde seine Komplizin. Ob der Plan aufging? Das werden wir jetzt nicht auch noch verraten. Jedenfalls, Vati blieb ein Bücherfreund bis zum Schluss. Auf der letzten von elf originellen Farbillustrationen, die die Künstlerin Kat Menschik beigesteuert hat, ist etwas in einen Baum geritzt. Wird hier aber auch nicht verraten.
Monika Helfer: Der Bücherfreund. Illustriert von Kat Menschik, Hanser 2025, geb., 75 Seiten
olaf cless
Wörtlich
„Der Krieg ist ein eitler Dämon, er hört sich gern selbst zu.“
Alexander Kluge, 93, Autor, Jurist und Filmemacher