Zwischenruf: Maus in der Vorratskammer
Sechs Wochen in einen Raum gesperrt zu sein, ist sicher nicht das wahre Vergnügen. Schon gar nicht für einen jungen, geselligen Menschen. Xavier de Maistre war 27, als er wegen eines unerlaubten Duells zu 42 Tagen Hausarrest verurteilt wurde, anno 1790 in Turin. Der französische Aristokrat war also eingeschlossen im eigenen Zimmer. Man kann sich härtere Haftbedingungen vorstellen. Aber immerhin. Nicht mal ein Fernseher in der Bude! Doch Monsieur de Maistre hat das Beste aus seinem Missgeschick gemacht. Er beschloss, „die Bestrafung als Geschenk zu nehmen“ (Karl-Markus Gauß) und ein Büchlein über die unverhoffte Zeit der inneren Einkehr zu schreiben, das dann 1795 erschien. Es trägt den schönen Titel Voyage autour de ma chambre, also Reise um mein Zimmer, und ist der Hauptgrund, weshalb man von Xavier de Maistre, diesem Erzkonservativen, heute noch spricht.
Reise um mein Zimmer spielt parodistisch auf die damals in Mode gekommene Reiseliteratur an. Im betonten Gegensatz zu deren Sensationsabenteuern in der Ferne kommt sie mit ein paar häuslichen Quadratmetern aus. De Maistre beschreibt sein Inventar – Bett, Lehnstuhl, Schreibtisch, Bilder an der Wand, Bücher im Regal –, doch all das setzt unfehlbar seine Gedanken, Erinnerungen und philosophischen Ideen in Gang, lässt sie ins Weite schweifen. Die Behörden, schreibt er, hätten ihm verboten, auf die Straße zu gehen, aber sie „haben mir das gesamte Universum überlassen. Die Unermesslichkeit und die Ewigkeit stehen zu meinen Diensten.“ Stolze Worte, wenn auch etwas wohlfeil, wo doch das Licht am Ende des Tunnels nur ein paar Wochen entfernt ist. Auch dass de Maistre die Verbannung genossen habe, als würde man „eine Maus in die Vorratskammer einsperren“, wird ihn nicht davon abgehalten haben, sich am 43. Tag ein opulentes Mahl zu gönnen.
Jedenfalls machte seine Reise durch mein Zimmer Schule. Ein ganzes Genre kam auf, dessen VerfasserInnen und Verfasser das Nahe durchstreiften statt die Ferne. Zu ihnen gehörte auch eine gewisse Sophie von La Roche, die einige Jahre nach de Maistres Voyage ein Buch mit dem Titel Mein Schreibetisch veröffentlichte. Darin erkundet sie ihr „Stübchen“, in dem das titelgebende Möbel steht samt allem, was darauf abgelegt ist – ihre Gedichtübersetzungen aus dem Französischen und Englischen, Exzerpte wissenschaftlicher Werke, Briefe, Notizen. Und schon gehen auch ihre Gedanken auf die Reise. Umso lebhafter übrigens, als Sophie de La Roche, nun Witwe, in ihrem zurückliegenden Leben wahrlich viel herumgekommen ist.
Und nun reisen auch Sie mal schön, über Ihren Schreibetisch, durch Ihr Nähkästchen, Ihr Leben.