Gegen „die fluchbeladene Schinderbande der Nazis“
Thomas Manns Ansprachen Deutsche Hörer! im BBC
Im Nachkriegsdeutschland schlägt ihm von konservativer Seite der blanke Hass entgegen. Er habe von den bequemen Logenplätzen des Auslands aus der deutschen Tragödie zugeschaut. Im Juni 1950 heißt es beispielsweise in der FAZ, er sei „der Exponent einer bis zur Dummheit gehenden Abneigung gegen Deutschland.“ Gottfried Benn hielt ihm „alttestamentlichen Geifer und Hass“ vor. Bereits 1947 hatte eine Umfrage der amerikanischen Besatzungsbehörde ergeben, dass die Mehrheit der Intellektuellen seine Rückkehr in die Heimat ablehnten. Ziel der Anfeindungen war kein Geringerer als Literaturnobelpreisträger Thomas Mann wegen seiner von 1940 bis 1945 insgesamt 55 Radioansprachen Deutsche Hörer! aus dem kalifornischen Exil, die BBC von London aus nach Deutschland sendete. Wer im Dritten Reich den „Feindsender“ BBC als Informationsquelle nutzte, riskierte drastische Strafen. Dennoch schätzte die BBC damals ihr deutsches Publikum auf bis zu drei Millionen Hörer. Darunter auch Propagandaminister Joseph Goebbels, wie aus dessen Tagebuch hervorgeht.
Seine Beweggründe erläutert Thomas Mann in seiner Ansprache vom März 1941 folgendermaßen: „Es ist die Stimme eines Freundes, eine deutsche Stimme, die Stimme eines Deutschlands, das der Welt ein anderes Gesicht zeigte und wieder zeigen wird als die scheußliche Medusenmaske, die der Hitlerismus ihm aufgeprägt hat. Es ist eine warnende Stimme. Euch zu warnen ist der einzige Dienst, den ein Deutscher wie ich Euch heute erweisen kann.“ Seine auf politische Aufklärungsarbeit zielenden Ansprachen sollten der „Absperrung Deutschlands von der Welt und ihrem Fühlen und Denken“ entgegenwirken. In den fünf- bis achtminütigen, pointiert formulierten Reden kommentierte er das aktuelle Kriegsgeschehen, attackierte die Lügenpropaganda Goebbels‘ und klärte seine Hörer über die Verbrechen der Nationalsozialisten auf. Dabei gibt er jede hanseatische Zurückhaltung auf und nimmt kein Blatt vor den Mund. Er bezeichnet Hitler als ein Individuum, das mit seiner „Verlogenheit“, „schäbigen Grausamkeit“, „Rachsucht“ und „defekten Menschlichkeit“, mit seinem „unaufhörlichen Hassgebrüll“ die „abstoßendste Figur ist, auf die je das Licht der Geschichte fiel.“ Die Nazis waren ihm eine „verbrecherische Sippschaft“, „Mordgesindel“, „Schänder und Schinder“, „Menschenquäler“, „apokalyptische Lausbuben“. Immer wieder benennt er die Naziverbrechen an Juden: „In Paris wurden binnen weniger Tage 16.000 Juden zusammengetrieben, in Viehwagen verladen und abtransportiert. Wohin? Das weiß der deutsche Lokomotiv-Führer, von dem man sich in der Schweiz erzählt. Er ist dorthin entflohen, weil er mehrmals Züge voller Juden zu fahren hatte, die auf offener Strecke hielten, hermetisch verschlossen und dann durchgast wurden. Der Mann hat es nicht mehr ausgehalten.“ Thomas Mann beschreibt die Verbrechen plastisch bis zur Schmerzhaftigkeit, wie in seiner Rede vom September 1942, wo er drastisch die Tötung polnischer Juden mit Giftgas schildert, „die Schreie und Gebete der Opfer, das Gelächter der SS-Hottentotten, die den Spaß zur Ausführung brachten.“ Kein Wunder also, so seine Schlussfolgerung, dass die zivilisierte Welt beratschlage, wie „aus völlig begriffslosen und missgebildeten Killern in Deutschland Menschen zu machen sind.“ Er fragt: „Was sind das für Menschen, für Ungeheuer, die des Mordens nie satt werden, denen jedes Elend, das sie den Juden zufügten, immer nur ein Anreiz war, sie in noch erbarmungsloseres Elend zu stürzen?“ Im April 1942 schließlich empfiehlt er den Deutschen unumwunden, sie sollen sich erheben, auf die Straße gehen und fordern: „Nieder mit Hitler und allem Hitler-Gesindel!“ Vom Holocaust, den er so ofr angeprangert hat, wollte später kaum jemand gewusst haben.
In seinen Aufrufen an die Deutschen, doch endlich zur Besinnung zu kommen und sich nicht vollkommen aus der menschlichen Gemeinschaft der Völker herauszukatapultieren, steckt immer auch die Hoffnung auf die „Rückkehr Deutschlands zur Menschlichkeit“, wie in seiner Ansprache vom Januar 1945: „Wäre dieser Krieg zu Ende! Wären die grauenhaften Menschen erst beseitigt, die Deutschland hierhin gebracht haben, und könnte man anfangen, an einen Neubeginn des Lebens, an ein Forträumen der Trümmer, der inneren und äußeren, an den allmählichen Wiederaufbau, an eine verständige Aussöhnung mit den anderen Völkern und ein würdiges Zusammenleben mit ihnen zu denken!“