Kultur
CD/Download/Oberhausen
Wo war denn da der Edelmann?
Die Bremer Folkband Die Grenzgänger, seit sagenhaften 35 Jahren unterwegs mit rebellischem Liedgut der „niederen Stände“ früherer Zeiten, welches das Quartett ausgräbt und musikalisch behutsam modernisiert, nimmt sich auf ihrer neuesten CD unter dem (Brecht‘schen) Titel Wessen Welt ist die Welt? der Lieder aus den Bauernkriegen vor 500 Jahren an. „Wenige der Original-Lieder“, heißt es in der Ankündigung, „sind überliefert, wurden ihre Verfasser und die, die sie sangen, doch verfolgt und nicht selten hingerichtet“. Zu hören sind etwa die legendären Verse „Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“ oder das Lied vom armen Konrad, in dem es selbstbewusst heißt: „Ein gleich Gesetz das will ich ha’n vom Fürsten bis zum Bauernmann“. Ob der folkig swingende Stil der Grenzgänger den alten Zeugnissen immer angemessen ist, mögen die Zuhörer entscheiden, besonders bei den Live-Auftritten. – Siehe auch unser Artikel auf S. 16.
Zu beziehen als CD oder Download über musikvonwelt.de/kaufen/wessen-welt-ist-die-welt-bauernkrieg. Am 6. 6. gastieren Die Grenzgänger im K14, Oberhausen
Duisburg
Staunen, basteln, lachen am Innenhafen

Nur Mut, kleiner Pinguin! Illustration: Lita Judge
Ein lustiger Pinguin mit Fliegerbrille und buntem Federwirrwarr – er stammt vom Kinderbuch „Flugschule“ der Illustratorin und Autorin Lita Judge aus Alaska (USA) – wirbt als Plakatfigur für das KinderKulturFestival im Duisburger Innenhafen. Neun Tage lang volles Programm, vom 31. Mai bis 8. Juni. Mit dem Ausstellungszelt ILLUSIONA, wo mit Zerrspiegeln, schrägen Böden und anderen Tricks unsere Sinne auf die Probe gestellt werden. Mit Figuren-, Marionetten- und Straßentheater für die ganze Familie, von „Neeweißnicht und Rosenrot“ über „Rapunzel“ bis zum clownesken Postboten, der seinen Berg von Onlinehändler-Paketen nicht durch den Briefschlitz kriegt. In einem Workshop-Zelt können sich junge Besucher*innen ein Rennauto oder ein Wackelinsekt namens Bibberich bauen, im Lesezelt gibt es spannende Geschichten und im Straßenstudio „Tetra Town“ verwandeln sich alte Getränkekartons in coole Hüte und Kappen.
31. 5. – 8. 6., Innenhafen Duisburg; kinderkulturfestival.de
Düsseldorf
Franzl & Robert in Singer-Songwriter-Version

Bryan Benner, die Baritonstimme der „Erlkings“. Foto: Theresa Pewal
The Erlkings, also Die Erlkönige, sind ein fulminantes Quartett in der nicht alltäglichen Besetzung Bariton/Gitarre, Cello, Tuba und Percussion/Vibraphon. Die vier Herren haben ein ausgezeichnetes Händchen (bzw. deren acht) für die Adaption und verschmitzte Darbietung klassischen deutschen Liedgutes, das bei ihnen auf Englisch erklingt. Mit Schubert fing es an, daher auch der Name der Gruppe, inzwischen haben sie sich u. a. auch Robert Schumann zu eigen gemacht – und sind daher auch willkommene Gäste beim diesjährigen Düsseldorfer Schumannfest (5. – 29. 6.). Ihre Homepage eröffnen die Erlkönige mit der Eloge eines Professors für Liedkunst an der Londoner Royal Academy of Music, der sich erst weigerte, die Schubert-Schänder anzuhören, sich aber eines Besseren belehren ließ und nun schwärmt: „Jedes Arrangement und jede Übersetzung zeugt von echter Liebe und Respekt (…) sowie von der Bereitschaft, mit Konventionen zu brechen.“
14. 6., 20:30 Uhr, Jazz-Schmiede, Himmelgeister Str. 107g, Eingang Ulenbergstraße, 40225 Düsseldorf
Kino
Schwierigkeiten mit der Weltoffenheit

Ein Willkommen für Familie Fayad. Leider kommt sie nicht aus der Ukraine. © THE FILM
Wie jede Gemeinde möchte auch das kleine Paimpont in der Bretagne öffentlich gut dastehen. Der medienbewusste Bürgermeister legt sich entsprechend ins Zeug, gerade wird ein Film fürs regionale Fernsehen gedreht. Neueste Ruhmestat: Man wird ukrainische Flüchtlinge aufnehmen. Die Initiative kommt von der Lehrerin Julie (Regisseurin Julie Delpy selbst). Unglücklicherweise geht das Dorf bei der Zuteilung dann aber leer aus. Genauer gesagt, es muss mit einer syrischen Flüchtlingsfamilie vorliebnehmen. Der Bürgermeister hat ganz umsonst mit seinen Ukrainisch-Lektionen begonnen. Und in die anfängliche komödiantische Unbeschwertheit von Die Barbaren – Willkommen in der Bretagne mischen sich nun dissonante Züge, denn es kommen bösartige Gerüchte auf, Rassismus und Vorurteile erheben ihr Haupt und der Friede-Freude-Omelette-Optimismus der Dorflehrerin stößt an harte Grenzen. Die Komödie wird zur „Dramödie“. Julie Delpy hat übrigens für ihren neuen Film in den USA noch keinen Verleih gefunden.
Ab 26. 6. im Kino; 101 Minuten; Originaltitel: Les Barbares
Biographie
Ein gelungenes Exemplar Mensch

Sie hat zwei Weltkriege überstanden, wurde ausgebombt, verlor alles und war bereits fünfzig, als sie in Freiheit und mit etwas Wohlstand nach ihrer Façon leben konnte. Ihre Lust am Leben hat sie nie verloren. Hubertus Meyer-Burkhardt – preisgekrönter Film- und TV-Produzent, Journalist, Schriftsteller und Moderator der NDR-Talkshow – erinnert sich auf liebe- und humorvolle Weise an diese Frau, seine Großmutter Christel Vollbrecht. Ein Leben auf der Überholspur, rebellisch, unangepasst, voller Lebensfreude, Mut und unglaublicher Stärke. In einem Interview mit dem domradio bezeichnete er sie einmal als „Hohepriesterin der Unvernunft“: „Sie hat sich nicht sehr darum gekümmert, welches Essen gesund war. Sie hatte gerne auch schon am Nachmittag mal eine Flasche Weißwein auf dem Tisch. Sie rauchte Lord, mehrere am Tag, und wurde trotzdem steinalt. Sie ist eine Frau gewesen, die das Leben gefeiert hat.“ Gerne kauerte sie auch im Beiwagen einer Moto Guzzi und rief dem Fahrer zu: „Schneller. Fahren Sie doch bitte endlich schneller!“ Bekannt war sie u. a. für ihre Großzügigkeit. Ihr Rat: „Man muss das Geld aus dem Fenster werfen, damit es zur Tür wieder reinkommt.“ Sie mochte kein Eigenlob und kein Selbstmitleid. Besonders verhasst waren ihr jegliche Form von Nationalismus und Deutschtümelei. Einem jungen Mann, der in einer Weinstube zu ihr sagte: „Frau Vollbrecht, wir müssen doch ein bisschen stolz auf unser Volk sein dürfen“, prostete sie mit den Worten zu: „Junger Mann, wenn Sie unbedingt stolz auf ihr Volk sein möchten, dann empfehle ich Ihnen den Beruf des Imkers.“ In autobiographischen Episoden wirft Hubertus Meyer-Burckhardt den Blick auf eine Frau, die ihrer Zeit voraus war. Humorvoll, einfühlsam, warmherzig, dabei fernab aller Klischees – das Portrait eines gelungenen Exemplars Mensch.
Hubertus Meyer-Burckhardt: „Die Sonne scheint immer. Für die Wolken kann ich nichts.“ Was meine Großmutter mir über das Leben erzählte. Heyne Verlag, März 2025, geb. Ausgabe, 208 Seiten, 22 Euro
Gedichte
Siebenschwein und Sägeschwan
Die originellen Titelillustrationen waren es erst einmal, die mich nach diesen drei neuen Reclam-Gedichtbändchen greifen ließen, gewidmet Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz und Kurt Tucholsky. Natürlich kennt „man“ und „frau“ diese Klassiker der gewitzten, skurrilen, aufmüpfigen etc. Verskunst. Aber vermutlich können auch sie es brauchen, dass jemand für sie eine Lanze bricht, ein Büchlein verschenkt, einen Vers zitiert. Es ist wie bei der „Korfschen Uhr“: „Korf erfindet eine Uhr,/die mit zwei Paar Zeigern kreist,/und damit nach vorn nicht nur,/sondern auch nach rückwärts weist.“ Womit wir bei Morgenstern (1871-1914) wären. Außer auf neueste Erfindungen wie besagte Uhr oder Objekte mit Eigenleben – Trichter, Korbstuhl oder der draußen lauernde Schnupfen – stößt man in seiner poetischen Welt auf zahlreiche Tiere, seien es vertraute wie Spatz, Gaul oder Papagei, seien es unbekannte Arten à la Nasobem („Es steht noch nicht im Brehm“) oder Siebenschwein.
Wie im kleinen biografischen Nachwort des Reclam-Bändchens erwähnt, gehörte der junge Morgenstern einer Künstlerclique an, die sich eingedenk eines Ausflugs zum Galgenberg bei Potsdam zum Bund der „Galgenbrüder“ erklärte. Davon ließ sich der Dichter zu dem Band Galgenlieder (1905) anregen, seinem bis heute bekanntesten. Morgenstern, seit Kindheit von der Tuberkulose geplagt, starb mit knapp 43 Jahren. Den Weltkrieg hat er nicht mehr erlebt. Was er vom Hurra-Patriotismus gehalten hat, lässt seine gereimte „Kleine Geschichte“ erahnen, in der die zwei Farben eines „Fähnleins“ im Platzregen lustvoll ineinanderlaufen, sehr zum Ärger von „des Fähnleins Herren“. – Fortsetzung folgt: Ringelnatz!
Christian Morgenstern: Von Mondschafen und Purzelbäumen. Gedichte. Hrsg. von Andrea Hahn, Reclams Universal-Bibliothek Nr. 14479, 95 Seiten, 7 Euro
Wörtlich
„Zahlen werden für wahrer gehalten als Worte. Wann immer Menschen eine Ziffer sehen, denken sie: Aha, das ist eine Tatsache. Aber eine Berechnung ist kein Argument.“
Emma Holten, 33, dänische Autorin und Politikberaterin. Kürzlich ist ihr Buch „Unter Wert“ auf Deutsch erschienen (dtv).