Spaßguerillero und Agitpropler - Klaus Klinger und die Kunst im öffentlichen Raum
Das Straßenmagazin fiftyfifty präsentiert den Künstler Klaus Klinger. fiftyfifty gibt es nun 30 Jahre. Über 10 Millionen Hefte haben Obdachlose in dieser Zeit verkauft. Viele innovative Projekte wurden realisiert: etwa der GuteNachtBus (zusammen mit vision:teilen), „Underdog" für die Hunde der Obdachlosen und Housing First, womit schon über 100 Menschen von der Straße eine Wohnung bekommen haben. Vor allem aber ist fiftyfifty auch eine Lobby für Obdachlose, kümmert sich, mischt sich ein - nicht selten unbequem und zumeist öffentlich sichtbar: 30 Jahre und kein bisschen leise. Zur Finanzierung der Obdachlosenhilfe dient eine Benefiz-Galerie, in der gespendete Werke von zum Beispiel Gerhard Richter, Rosemarie Trockel, Thomas Ruff und Imi Knoebel, um nur wenige Beispiele zu nennen, verkauft werden.
Klaus Klinger hat die politische Wandmal-Kunst der vergangenen Jahrzehnte geprägt wie kaum ein/e andere/r. Seine Kunst im öffentlichen Raum befindet sich in vielen Städten auf dem ganzen Globus, nicht zuletzt in seiner Wahlheimat Düsseldorf. Und: Klaus Klinger hat die Obdachlosenhilfe fiftyfifty von Anfang an und immer wieder mit Benefiz-Editionen, Multiples und Original-Arbeiten unterstützt. Der 1955 in Essen Geborene hat bei Gerhard Richter an der Kunstakademie Düsseldorf studiert hatte und war später Meisterschüler von Christian Megert. Doch der etablierte Kunstbetrieb mit seiner kapitalistischen Verwertung und den exorbitanten Profitmöglichkeiten interessierte Klinger zu keiner Zeit. Im Gegenteil: Sein Oeuvre war stets umwälzenden Idealen und dem gesellschaftlichen Fortschritt verpflichtet, mit dem Eintreten gegen Ausbeutung, gegen die Entrechtung der Arbeiter*innenklasse und gegen Umweltzerstörung. Motto: Kunst kontra Kapital. Einige seiner alten Genoss*innen haben diese Ziele wohl längst vergessen. Klaus Klinger dagegen steht immer noch auf Gerüsten vor Häuserwänden, um seine unbequemen Botschaften auf Fassaden oder später in Ermangelung geeigneter Wände auf megagroßen mobilen Netzvenyl-Leinwänden zu bannen. Was vor über 40 Jahren als Agitprop en vogue war, etwa die Bilder eines Jörg Immendorff, war dann irgendwann als Zeigefinger-Kunst verpönt. Kein Grund für Klaus Klinger, nicht umso mehr daran festzuhalten. Die gesellschaftlichen Umstände erforderten es schließlich. So etwa die Vertreibung von Obdachlosen aus dem öffentlichen Raum, wogegen Klaus einen Demonstrationszug von Betroffenen - die, eine Ungeheuerlichkeit, von einem Manager mit Abfall verglichen wurden - anführte. Mit Müllcontainern die schicke Königsallee entlang, auffällig Bier trinkend, um bewusst gegen einen diskriminierenden Paragraphen zu verstoßen, der speziell Obdachlosen den Genuss von Alkohol in der Öffentlichkeit verbietet. Ein anderes Mal, zu Karneval, baute Klaus zusammen mit Straßenzeitungsverkäufer*innen eine überlebensgroße Puppe des seinerzeit oft betrunken auftretenden Schauspielers Harald Juhnke und zog durch die Gassen der längsten Theke der Welt, dort, wo gut Bürgerliche sich selbstverständlich völlig legal gerne schon mal die Kante geben. Lustige Aktion einer selbst ernannten Spaß-Guerilla, eine von vielen, mit der Klaus und seine Leute regelmäßig auf offiziellen Rosenmontagszügen, dabei nicht selten von der Polizei verjagt und verprügelt, wichtige politische Themen unters Volk gebracht hat. Wie haben wir uns damals amüsiert über den Aufzug mit gerade verschwundenen „Atomfässern“ der Firma Nukem Alkem, die eine Strahlenschutzbehörde für bare Münze hielt und mit Geigerzählern argwöhnisch untersuchte. Oder über Ronald Reagan, US-Präsident und Scharfmacher, aus heutiger Sicht geradezu zahm im Vergleich zu Donald Trump - eine große Papp-Figur aus der Klinger’schen Ideenschmiede mit einer Rettich-Rübe in der Hand. Motto: Rettich statt Reagan. Oder Verteidigungsminister Rupert Scholz, wer kennt ihn noch?, in einer riesigen WC-Schüssel mit Scheißekringelchen auf der Klobrille und Starfightern vorneweg. Motto: Scholz hat wieder einen fliegen lassen. Bitterböser Humor. Waren doch gerade erst einige Maschinen wegen technischer Mängel abgestürzt. Den Jecken blieb denn auch das Lachen im Hals stecken. Schließlich: Ein gigantisches Tortenstück, die Schichten aus menschlichen Knochen und Eingeweiden, gebaut zu einem runden Geburtstag von Rheinmetall - der Rüstungskonzern, damals schon blutig in viele Kriege der Welt verwickelt, aber ein Schatten dessen, was er heute ist, war außer sich. Oder, ganz aktuell: Eine überdimensionale Figur von Christian Lindner, wie gut, dass er von der Bildfläche verschwunden ist, neben einem real gemieteten Porsche vor dem Düsseldorfer Hauptbahnhof im Kreise von Obdachlosen, die sich über verachtenswerte Herablassungen dieses Schnösels gegen angebliche Sozialschmarotzer echauffierten. Lindner als geistiger Brandstifter und Sozialstaatvernichter mit einem Benzinkanister in der Hand, darauf die Buchstaben seiner Partei; FDP - gleich: Für Den Porsche.
Vor über 40 Jahren, als ich Klaus das erste Mal begegnete, malte er zusammen mit den anderen der Wandmalgruppe Düsseldorf, aus der später der Verein Farbfieber entstanden ist, an einem Bilderzyklus zu den Themen Häuserkampf und bezahlbares Wohnen - so wie neulich erst wieder, als wenn sich in all den Jahren nichts verändert hätte, außer, dass es noch schlimmer geworden ist, an einem Haus neben der Zentrale der Obdachlosenhilfe fiftyfifty. „Haben und Teilen“ heißt das Motiv mit dem gierigen, eiskalten Kapitalisten-Wolfshund. Elon Musk, den damals noch niemand auf dem Schirm hatte, lässt grüßen, Elon Musk, den es mitsamt seiner ganzen üblen Clique zu enteignen und entmachten gilt, gemäß dem Credo einer neuen Kunst von unten: Ohne eine Änderung des Wirtschaftssystem mit einer fairen Verteilung des Reichtums auf der Erde keine Gerechtigkeit, keinen Frieden. Ach ja, Frieden: Dieses Anliegen zieht sich durch unzählige Wandbilder. Klingers revolutionärer Ansatz besteht darin, inmitten der sozialen Bewegungen, Kunst im öffentlichen Raum für alle zugänglich zu machen. Er hat sich immer wieder mit politischen Botschaften provokant positioniert und zum Tun sowie zum interkulturellen Dialog animiert. Mit über 150 Wandbildern weltweit, davon viele in Kuba, und mehr als 40 in seiner Wahlheimat Düsseldorf, hat er die Street-Art-Szene - auch durch das regelmäßig organisierte Festival „40 Grad Urban Art“ - maßgeblich geprägt. Ein bekanntes Beispiel dafür ist auch die Fassade „Zeit-Reisende/r“ des Bilker Bunkers aus dem Jahr 1995, in dem sich heute ein schicker Off-Raum befindet, der erst neulich eine Ausstellung mit Klingers Kunst an derart hohe finanzielle Forderungen geknüpft hat, dass sie faktisch nicht zu realisieren war - ein Skandal. Ausgerechnet jener Kunstraum, dessen von Klaus Klinger durchgeführte Außengestaltung unter Denkmalschutz gestellt wurde, verunmöglicht eine Schau seiner Werke. Überhaupt: An der Missachtung hat sich bis heute nicht viel geändert. Immerhin wurde Klaus ein bisschen geehrt. 2014 erhielt er den Düsseldorfer Friedenspreis und 2018 wurde ihm die Verdienstplakette der Stadt Düsseldorf verliehen, anlässlich deren Verleihung er verschmitzt in seiner Dankesrede fragte: „Warum dieser Preis? Was habe ich falsch gemacht?“
Zum Glück bleibt ihm neuerdings erspart, dass seine Werke, wie seinerzeit beim Vodafone-Parkhaus am Landtag NRW, einfach vernichtet werden - ein Akt der Barbarei, der an schlimme Zeiten erinnern lässt. Wer also heutzutage mit offenen Augen etwa durch die NRW-Landeshauptstadt geht, entdeckt immer wieder Werke von Klaus Klinger, die längst zum Stadtbild gehören und zum Wahrzeichen einer Metropole, in der Arme und Superreiche oft nebeneinander her leben; die einen im Luxus, die anderen im Elend. Wer kennt nicht den nachdenklichen Affen hinter Hochgleisen, gleich neben dem größten Puff der Stadt, mit dem einer Lenin-Schrift entlehnten Titel „Was tun“ - so auch der Titel seiner Ausstellung im NRW-Forum.
„Was tun?“ - so heißt auch eine Grafik von Klaus Klinger für die Obdachlosenhilfe fiftyfifty. Mit seiner Kunst will er neuerdings nicht nur mehr die gesellschaftliche Verhältnisse zum Tanzen bringen, sondern auch Menschen von der Straße holen. Kunst für Obdach, Housing-First für die, die sonst unter Brücken schlafen müssten. Klaus Klinger hat als Vorstand von fiftyfifty viele vom Verein durch Benefiz-Kunst angekaufte Apartments für die Ärmsten der Armen beim Notar beurkundet - so schließt sich der Kreis.
Wenngleich die Ablehnung durch den etablierten Kunstbetrieb dem Werk Klingers quasi inhärent zu sein scheint und ein kommerzieller Erfolg dem Künstler vermutlich wie ein Verrat an der eigenen Sache vorkäme, so ist sein bisheriges Lebenswerk ohnegleichen. Vermutlich kein einziger Künstler und keine Künstlerin im erlauchten Kreis der im Capital-Kunstkompass aufgelisteten Top 100 hat wohl eine derartige gesellschaftspolitische Bedeutung. Und es wird die Zeit kommen, in der, so wie jetzt schon in Ahlen und Solingen, Wandgemälde von Klaus Klinger aufwändig restauriert werden. Nicht nur deshalb auch wäre ihm mehr Anerkennung zu wünschen. Denn eine Gesellschaft, die kritische Kunst wertschätzt, achtet auch die, die im Dunkeln sind und holt sie ins Licht.
30 Jahre fiftyfifty
Klaus Klinger im NRW-Forum
4.4. (Eröffnung 18 Uhr) - 1.5.25