Rassenbingo
Ich bin letzte Woche mit dem Zug nach Hause gekommen - am Bahnhof war wie immer viel Polizei. Und da habe ich es wieder gesehen: Für diejenigen, die Racial Profiling noch nicht kennen, darunter versteht man Polizeikontrollen auf Grund von ethnischen Kriterien, also so eine Art Rassenbingo. Menschen werden nicht kontrolliert, weil sie mit einem Bombengürtel durch die Gegend laufen, sondern weil sie so aussehen, wie manche Polizisten sich einen Gürtelbomber vorstellen - wie Aladin. Und der wird dann gefilzt. Und dann stellt sich heraus, Aladin heißt Klaus-Dieter und betreibt in Krefeld einen Wunderlampen-Laden, also ein Sonnenstudio.
Ich kann mit weißgesprenkelter Nase, den Rucksack voller Betäubungsmittel, ganz entspannt an der Polizei vorbei schlendern. Ich brauch im Bahnhof nur einem Afrikaner zu folgen. Das ist wie eine Tarnkappe. Ich könnte auch nackt sein mit einer Stange Dynamit, die mir vom Gemächt baumelt, und das Horst-Wessel-Lied singen - die würden den Afrikaner kontrollieren.
Viele wollen Rassismus sichtbar machen. Mich macht er unsichtbar. Die Polizei dementiert das natürlich. „Sind Sie ein Rassist?“ Das ist eine Frage, die niemand jemals bejahen würde. Davon gibt’s ja einige. Erst letztes Jahr eingeführt und jetzt schon ein Klassiker in der Bäckerei: „Brauchen Sie den Beleg?“ Niemand will den! Wer da Ja sagt, der sammelt auch seine Fußnägel und benutzt sie als Zahnstocher. Und genau so wenig geben Leute zu, dass sie Rassist sind. Im Gegenteil, die sagen immer: „Ich kein kein Rassist, ABER …“ Das kann ich gut verstehen. Ich sag auch am liebsten: „Ich bin kein Raucher“ - wenn ich mir gerade eine anzünde.
Beim Thema Rassismus gibt es grundsätzlich drei Gruppen: die, die betroffen sind, die, die es betroffen macht und Menschen wie George Floyd (2020 in den USA von einem Polizisten mit dessen Knie auf seinem Hals ermordet, worauf sich weltweit die Bewegung „Black Lives Matter“ formierte, d. Red.), das sind die, die es trifft. Und die ganz besonders Betroffenen haben nach dem Tod von Floyd gesagt: „Was wir jetzt tun müssen, ist vor allem zuhören.“ Also: Psychotherapie. Für ein soziales Problem! Ich weiß nicht: Man geht doch mit einer Hirnblutung auch nicht zum Psychologen. Ziel einer Psychotherapie ist nicht die Lösung eines Problems, sondern es zu akzeptieren. Bei einer Hirnblutung? Mutig.
Gleichzeitig wird immer wieder gesagt, dass man als Weißer das Leid der Schwarzen gar nicht nachvollziehen könne. Mit Verlaub: Das ist der größte neoliberale Kokolores seit Gerhard Schröder. Wenn wir so anfangen, dann kann ich als Mann auch die Probleme einer Frau nicht nachempfinden, als Deutscher nicht die der Sudanesen und als Franke nicht die der Oberbayern. Ich werde auch nie wissen, warum man bei Laktose nicht toleranter sein kann. Und zwischen mir und einem Schiiten klafft ein Abgrund, der tiefer ist, als der zwischen Heidi und Klum. Und so geht das immer weiter: Pflegefälle, Arbeitslose, Menschen mit Behinderung, Spielsüchtige, Stadtstreicher, Impotente, Polizisten … jeder eine Minderheit für sich. Und keiner versteht den Anderen. Eine Welt direkt aus dem Masturbationskatalog der FDP. Mit siebeneinhalb Milliarden Ich-AGs. Und da muss ich sagen: Ich bin kein Freund des Zuhörens. Aber der Afrikaner, den ich bei der Kontrolle am Bahnhof gesehen habe, der war fantastisch. Der Polizist wollte seinen Pass sehen und er schaut ihn an und sagt: „Wissen Sie eigentlich, was auf den Intensivstationen los ist?“
gekürztes Transkript aus "Mathias Tretter: Jugendschutz und Rassismus für alle | 3satFestival"
Mathias Tretter
… geboren 1972 in Würzburg, studierte Anglistik und Germanistik, danach wandte er sich dem Kabarett zu. Sein erstes Soloprogramm brachte er 2003 heraus. Seither folgten viele weitere. Tretter bildete bis zu dessen Auflösung 2014 zusammen mit Philipp Weber und Claus von Wagner auch das Kabarett-Trio „Erstes Deutsches Zwangsensemble“, das den Deutschen Kleinkunstpreis erhielt. Tretter selbst erhielt fast alle Auszeichnungen seiner Branche, u.a. den Deutschen Kabarett-Preis. Über Tretter schrieb die Süddeutsche Zeitung: „Mathias Tretter schafft es bei gleichbleibend hohem intellektuellen Anspruch in einem derart unverschämt locker-nonchalanten Duktus und Habitus zu reden und zu spielen, dass man in Gedanken noch kein halbes Mal abschweift.“ Mathias Tretter lebt mit seiner Frau und Kindern in Leipzig.
Mathias Tretter mit „Souverän“
im Kom(m)ödchen
25.4.2025