Neulich: Der Lack ist ab
Seit ihren Anfängen versucht die Medizin, gegen die Spuren des Alters anzugehen. In der griechischen Antike setzten die Ärzte auf Sport, Athletik und die Lehren des Hippokrates, der zu einer maßvollen Lebensweise riet. In Rom galten Olivenöl, Bienenwachs und diverse Bäder als probates Mittel zum Erhalt jugendlicher Frische. Dass ich nicht mehr zur primären Zielgruppe des Marketings und der Werbung gehöre, ist mir längst ebenso bewusst wie gleichgültig. Aber ab wann gilt man in den Augen seiner Mitmenschen als alt? Vor wenigen Tagen habe ich (ungebetenn) die Antwort darauf erhalten – bei einer Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel. Ich war in eine überfüllte Straßenbahn gestiegen, als eine junge Frau, eine überaus hübsche dazu, aufstand und mir mit einladender Handbewegung und freundlichem Lächeln ihren Sitzplatz anbot. Ich war wie vom Donner gerührt. Der Lack ist ab, wurde mir klar, du gehörst zum alten Eisen.Was nun? Ein Blick auf die nicht enden wollende Liste empfohlener Anti-Aging-Maßnahmen wirkte eher abschreckend. Hier eine Auswahl: die Haare färben, Verjüngungskuren, Dinner-Cancelling und Diäten, Vitamine und Vitalstoffe, Pro- und Präbiotika, Kosmetika, Wellness, Sport und Entspannungsverfahren, im Fitnessstudio wie besessen in die Pedale des Ergometers treten oder sich an Kraftmaschinen quälen, Hyaluronsäure-Unterspritzung und Botox, Senioren Yoga, oder gleich zum ästhetischen Chirurgen?
Und die Erfolgschancen einer Selbstverjüngung, wie sieht es damit aus? Einschätzungen dazu finden sich bereits in der Anthologia Graeca, einer Sammlung von Gedichten und Epigrammen aus der gesamten Zeit der griechischen Literatur von der Antike bis zu Byzantinischen Reich, die bevorzugt menschliche Schwächen und Eitelkeiten aufs Korn nimmt:
„Glätte dir ruhig die Backen mit all ihren Riefen und Runzeln,/ Mach für die fehlenden Brau’n Striche mit Kohle am Aug,/ Färb dir mit dunkler Tinktur die verblichenen Haare / Und ringle dir mit der Brennschere nur Löckchen um Löckchen am Ohr, / Alles vergebens! Man lacht dich nur aus.“
Hans Peter Heinrich
