Zeitenwende? Wie wär’s mal mit einer Finanzwende?
Anne Brorhilker ist als Staatsanwältin jahrelang entschlossen gegen Finanzkriminalität vorgegangen. Nun tut sie es bei der Bürgerbewegung Finanzwende e. V.
Im Dezember 2024 war Olaf Scholz zum dritten und wohl letzten Mal vom Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss als Zeuge vorgeladen. Diesmal stand nicht der millionenschwere Steuerbetrug der Warburg-Bank im Fokus, mit deren Chef sich Scholz in seiner Zeit als Erster Bürgermeister der Hansestadt mehrfach getroffen hatte, sondern die ehemals landeseigene HSH Nordbank, die sogar noch tiefer in den Finanzskandal verstrickt war. Die Befragung von Scholz endete ähnlich wie zuvor, nur dass er diesmal nicht von „Erinnerungslücken“ sprach, sondern meist antwortete, er könne da „keinen Beitrag“ leisten. Es ging um Fragen wie die, warum die Staatsanwaltschaft keine eigenen Ermittlungen gegen die HSH eingeleitet hatte, und warum nicht einmal ein Bußgeld verhängt wurde.
Beim Blick auf die juristische und politische Aufarbeitung des organisierten Raubzugs auf die öffentlichen Finanzen, der unter den Kürzeln „Cum-Ex“ und „Cum-Cum“ firmiert – die Täter ließen sich einmal gezahlte erstattungsfähige Kapitalertragssteuer mehrfach erstatten, dank eines trickreich konstruierten Aktien-Verschiebekarussells – kann man den Eindruck gewinnen, dass das Thema keine große Rolle mehr spielt. So als befalle der Gedächtnisschwund des (Noch-)Kanzlers das ganze Land. Und das, obwohl dem Staat doch an immer mehr Ecken das Geld auszugehen droht; wo Hunderte von Verfahren gegen Cum-Ex-Beschuldigte noch abzuarbeiten und viele hinterzogene Milliarden noch zurückzuholen sind; wo sich bei den Cum-Cum-Geschäften, deren Aufklärung erst anläuft, eine noch gewaltigere Schadenssumme abzeichnet (geschätzt rund 30 Milliarden Euro) als bei Cum-Ex – auch Volksbanken und Sparkassen waren fleißig involviert. Statt über all das reden viele Politiker lieber über die Betrüger beim Bürgergeld. Was für ein schäbiges und verlogenes Spiel.
Eine Justizbeamtin in NRW hat zwölf Jahre lang unbeirrt dazu beigetragen, dass ein anderer Wind wehte: die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker. „Sie war die Personifikation rechtsstaatlicher Entschlossenheit“, schrieb der Journalist und Justizkenner Heribert Prantl über sie, „sie war die Speerspitze der Cum-Ex-Ermittlungen. Sie war die Frau, die sich als Strafverfolgerin in die oberen und obersten Etagen der Gesellschaft traute (…), die Expertin, die gigantische Betrügereien aufklärte und anklagte.“ Dass Brorhilker damit zur Zielscheibe ihrer Prozessgegner wurde, war klar. Weniger selbstverständlich hingegen, dass auch Vorgesetzte und politische Dienstherren sie auszubremsen und zu diskreditieren versuchten. So wollte Landesjustizminister Benjamin Limbach (Grüne) ihr die Hälfte der Cum-Ex-Fälle entziehen, wogegen Brorhilker sich erfolgreich wehrte.
Doch bei aller Courage und allem Stehvermögen: Am Ende müssen die ständigen Attacken und Störmanöver die Staatsanwältin dann doch mürbe gemacht haben. Im Frühjahr 2024 beantragte Brorhilker ihre Entlassung aus dem Staatsdienst, verzichtete damit auch auf ihre Pensionsansprüche. Es war ein Paukenschlag. Und sie wechselte keineswegs die Seite, wie das so oft vorkommt, trat nicht in eine Steuergroßkanzlei ein, wo ganz andere Gehälter gezahlt werden. Stattdessen arbeitet die 51-Jährige jetzt als eine von vier Geschäftsführer*innen in der 2018 vom ehemaligen Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick gegründeten Bürgerbewegung Finanzwende e. V. und ist dort für den Bereich Finanzkriminalität zuständig. „Finanzkriminalität wird noch zu häufig als Kavaliersdelikt angesehen“, sagt sie. „Es geht um Milliarden, die uns fehlen, und die wir endlich zurückholen müssen.“ Was leichter gesagt ist als getan. So musste der Verein Finanzwende kürzlich erst vor Gericht ziehen, um Bundesfinanzministerium und Länderfinanzministerien zu zwingen, ihren gesetzlichen Informationspflichten nachzukommen und auf Anfragen zu Cum-Cum-Geschäften und deren amtliche Begünstigung zu antworten. Brorhilkers Eindruck: „Der Schutz der Banken wiegt für die Finanzbehörden offenbar schwerer als der Schutz von Steuergeldern der Allgemeinheit.“
Die künftige Bundesregierung, wie sie auch zusammengesetzt sein wird, wird nicht zuletzt daran zu messen sein, ob sie hier endlich eine Wende schafft. Von Zeitenwende geredet wurde schon genug.
Olaf Cless
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