Kulturtipps

Düsseldorf: Quattro Stagioni mit Harald Lesch
(oc). Eine schöne Idee: Harald Lesch, Professor für Astrophysik und Lehrbeauftragter für Naturphilosophie in München, eloquenter Streiter für die Klimawende, viel gelesener Sachbuchautor und beliebter Moderator u. a. seiner ZDF-Wissenschafts-Sendung Leschs Kosmos, Lesch also hat sich mit dem Wiener Geiger Martin Walch und dessen Merlin Ensemble zusammengetan. Gemeinsam treten sie in ausgewählten Städten unter dem Motto Harald Lesch und Vivaldis „Vier Jahreszeiten im Klimawandel“ auf. Das virtuose achtköpfige Miniorchester lässt Antonio Vivaldis unvergängliches Meisterwerk erklingen, Lesch schaltet sich mit beeindruckenden und informativen Erzählungen dazwischen. So entsteht eine ganz neuartige Synthese. Übrigens endet Lesch mit zwei längeren Zitaten von Hanns Dieter Hüsch, dem unvergessenen „schwarzen Schaf vom Niederrhein“. – Beim Blick auf die Ticketpreise meldet sich bitterer Beigeschmack: Geringverdiener müssen eher draußen bleiben.
19. 12., 20 Uhr, Tonhalle Düsseldorf (Foto: Hanseatische Konzertdirektion)

Düsseldorf: Facetten des Lebens
(oc). Dringender Aufruf: Die Ausstellung "Das ist Gesellschaft – Soziale Fotografie in Düsseldorf" endet am 5. Januar! Sie verpassen eine Menge, wenn Sie nicht hingehen. Der historische Bogen spannt sich gut und gern 100 Jahre bis in die Gegenwart, das Spektrum der eingefangenen Lebensbereiche reicht vom Sportverein bis zur Familie, vom Supermarkt bis zur Tagebau-Besetzung. Das Nachkriegs-Elend schaut uns an: Die Massenankunft von Vertriebenen 1947 könnte fast eine vom Balkan sein; ein Mann taucht tief in eine Mülltonne – dass es kein aktuelles Bild ist, verrät vor allem die Machart der Tonne. Die perversen Stadtmöbel, auf die sich nur Fakire legen können, zeugen dagegen vom modernen Ungeist. Immer wieder ist fiftyfifty vertreten, u. a. mit Katharina Mayers Porträts von Housing-First-Bewohnern; grandios auch Rainer Bergners Kö-Aufnahme: Passanten mit Shoppingtüten, ein Zusteller mit Paketfuhre, im Hintergrund ein Straßenzeitungsverkäufer.
Bis 5. 1., Stadtmuseum, Berger Allee 2, 40213 Düsseldorf, Tel. 0211 89-96170 (Foto von Dirk Alvermann © Stadtmuseum Düsseldorf)

Düsseldorf: Da wackelt das Tiny House
(oc). Ein Makler, ein Tiny House und drei Interessenten. Das Tiny House ist allerdings bloß ein Pappkarton. Den Text hatten wir in der letzten fiftyfifty abgedruckt. Live und in aller Turbulenz auf der Bühne gespielt, entfaltet er erst seinen ganzen Irrwitz – und das Kom(m)ödchen-Publikum gerät völlig aus dem Tiny House. So geht es im rasanten Jahresrück- und Ausblick Don’t Look Back am laufenden Band. Wegen ständiger Zugausfälle heißt es jetzt zu Fuß nach Düren oder sonst wohin wandern. Auch die Gründung eines Cannabis-Vereins nach neuer Gesetzeslage ist nicht das reine Vergnügen. Dafür versorgt uns aber Jörg Schönenborn an seiner Tafel mit tollen Umfrageergebnissen, und ein gewisser Paul Lagerfeld macht eine Auswahl der grauenhaftesten Modeverirrungen nieder. Trost in der allgemeinen Depression könnte ja die Weihnachtsgeschichte spenden, aber die Drei Könige entpuppen sich als Ampelkoalitionäre und verpatzen alles. Ob da Andrea Berg was retten kann?
16 Vorstellungen im Dezember, 15 im Januar; kommoedchen.de, Tel. 0211-329443. Achtung, dieses Programm läuft nur bis Februar! (Foto: Kom ödchen)

ARD-Mediathek: Sozialdrama, ungeschönt
(oc). Nur selten wagen sich deutsche Filme an Sozialdramen aus dem Armutsmilieu hier und heute, die die Verhältnisse ungeschönt zeigen und auf tröstlichen Kitsch verzichten. Ein Mann seiner Klasse, nach dem gleichnamigen Roman von Christian Baron, ist ein solches rares Fernsehereignis – und weiterhin in der ARD-Mediathek abzurufen. Buch und Film beruhen auf biografischen Tatsachen. Baron, 1985 in Kaiserslautern geboren, wächst mit seinen Geschwistern in erbärmlich prekärem Milieu auf. Der Vater Möbelpacker, Alkoholiker, gewalttätig, die junge Mutter immer wieder Opfer seiner Attacken, dazwischen die verängstigten Kinder. Auch wenn sich bei Christian Widerstand regt – Vater bleibt nun mal Vater, erst recht, wenn er sich mit Geschenken, Ausflügen und Sentimentalitäten immer wieder einschmeichelt. Erst die resolute Tante Juli durchbricht den Teufelskreis. Sie ist es auch, die im Jugendamt auf den Putz haut und dafür sorgt, dass der Junge aufs Gymnasium kommt.
Ein Mann seiner Klasse, SWR, 89 Min., ARD-Mediathek bis 3. 10. 2025; siehe auch die gleichnamige Doku, 45 Min. (Foto: SWR/Saxonia Media)

Roman: Im Abseits
„Jedem wird seine eigene Geschichte geschrieben. Fragt sich nur: vom Verzweifeln oder vom Siegen?“, heißt es im Vorwort des Romans. Die Protagonist*innen der darauf folgenden acht Erzählungen stehen nicht auf der Gewinnerseite des Lebens. Sie sind Teil einer Zufallsgemeinschaft in der Wohnsiedlung Banneker Terrace in Harlem. Von einem Immobilieninvestor aufgekauft, der dort „Luxuswohnungen in den Wolken“ plant, in denen kein Platz mehr für jene ist, die derzeit hier leben. Mit allen Mitteln versucht der Investor, die Bewohner hinauszudrängen. Die Gentrifizierung droht die ehemaligen Bewohner der Banneker wie eine Lawine zu überrollen. Mit Einfallsreichtum, Kampfgeist und Solidarität versuchen sie sich über Wasser zu halten.
Da ist der Apartmentbewohner Swan, der vom Weg abzukommen droht, als sein alter Kumpel aus dem Gefängnis entlassen wird. Und Mimi, die ihr und Swans Kind großzieht, kellnert, nebenbei Haare flechtet und nicht weiß, wie sie die Mieterhöhung stemmen soll. Mimis Nachbar Dary überlegt, ob er als Stricher die nächste Miete finanzieren soll. Oder Ms Dallas, Swans Mutter, die hilfsbedürftige Kinder in der Schule begleitet und auf einen Lehrer trifft, der zwar seinen Steinbeck und Shakespeare drauf, aber keine Ahnung davon hat, wie er mit den Schüler*innen umgehen soll. Da sind noch viele andere, die straucheln, scheitern, wieder aufstehen und wohl wieder scheitern werden. Am amerikanischen Traum vom sozialen Aufstieg halten jedoch alle Protagonist*innen fest. Eine träumt ihn so: „Wir würden in Villen wohnen, wo Brause aus dem Hahn kommt. Dann steig ich aus ner Limousine, mit Nerzmantel und schwarzen High Heels, die beim Gehen nach Ruhm klingen.“ Ein Beispiel für den Witz, den der Autor immer wieder aufblitzen lässt.
Sidik Fofana ist mit seinem Debütroman über Armut, Gentrifizierung und den nachbarschaftlichen Kampf um die eigene Würde ein Ausnahmebuch gelungen, das bereits für mehrere Preise nominiert ist. Kompliment auch für die deutsche Übersetzung von Jens Friebe, nicht zuletzt für die Übertragung der Passagen mit amerikanischem Slang, die den Alltag in einem New Yorker Sozialbau kongenial vermittelt.
Hans Heter Heinrich
Sidik Fofana: Dünne Wände. Aus dem Englischen von Jens Friebe. Claassen Verlag 2024. 256 Seiten, gebunden, 23 Euro

Lokalkrimi: Der diskrete Charme der Kunststadt
In Düsseldorf ist bekanntlich immer irgendwo eine Kunstaktion. Dass aber eines Morgens in einem Altstadt-Gully kopfüber eine leblose Person steckt, ist dann doch keine Kunstaktion. Auch wenn das bedauernswerte Opfer, Henri Keksel, wie sein Name fast schon andeutet, was mit Kunst zu tun hatte. Da die Polizei wenig Interesse an den Hintergründen des Falls an den Tag legt, begibt sich Sven Berger auf die Spur, Redakteur eines Lokalblatts und Ich-Erzähler in diesem eher amüsanten als nervenzerfetzenden Düsseldorf-Krimi von Jens Prüss. Immerhin kannte Berger den zu Tode gekommenen Keksel und hatte mit ihm manches Glas geleert. (Generell werden in der Geschichte unentwegt Gläser geleert, ob Alt, Riesling, Killepitsch oder auch mal ein Cocktail namens Moscow Mule. Es bildet geradezu das Grundrauschen der Stadt.) Keksel war als Künstler erfolglos, aber er erledigte gewisse Aufträge für einen namhaften Galeristen, und hier wird die Sache faul, wie Berger feststellt. Er findet in Keksels verwaistem Atelier ein Schmidt-Rottluff-Gemälde ohne Signatur, wenig später verschwindet das Bild, Berger wird am helllichten Tag quer durch die Stadt verfolgt, und selbst die honorige K20-Sammlung umweht ein feiner Geruch von Fälschung, Intrige und kreativem Umgang mit der Kunstgeschichte. Nach weiteren Irrungen & Wirrungen schließt der Hobbyermittler Berger, natürlich wieder unter Mitwirkung des Alkohols, Frieden mit seinen Widersachern, und die Düsseldorfer Welt ist wieder in Ordnung. Sogar der rumänische Straßenzeitungsverkäufer wird ein großzügig bezahltes Exemplar los. – Feine Aufmachung dank zahlreicher – farbenfroh „verfälschter“ – Fotos von Edeltraut Prüß.
Olaf Cless
Jens Prüss: Der tödliche Kandinsky. Reihe „Düsseldorf kriminell entdecken“, Droste Verlag, 176 Seiten, Hardcover, 18 Euro
Wörtlich
„Wer in der Türkei ein Buch liebt, stellt es nicht ins Regal, sondern gibt es Freunden, Nachbarn, Tanten. Und jeder unterstreicht etwas anderes in dem Buch, mit Stiften in verschiedenen Farben. Das gefällt mir.“
Elif Shafak, 53, aus der Türkei stammende, in London lebende Schriftstellerin. 2024 erschien in deutscher Übersetzung ihr Roman „Am Himmel die Flüsse“ (Hanser).