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Sefora (Name geändert) lebt in einem Slum am Rande von Düsseldorf. Niemand, der/die dies nicht gesehen hat, könnte glauben, dass es so ein Elend in Deutschland gibt. (Foto: Katharina Mayer)

Wie Roma in einer reichen Stadt im Slum leben

In einer der reichsten deutschen Städte leben Menschen in Hütten

Wenn Sefora lacht, werden Lücken in ihrem Gebiss sichtbar; sie hat nur noch wenige Zähne in ihrem Mund. Der Mantel, den sie trägt, ist abgewetzt, riecht. Sie sieht viel älter aus, als sie ist. Obwohl erst 21 Jahre jung, hat sie schon zwei Kinder. Ihr Mann Mihai war schon einmal verheiratet. Er ist 37, von kleiner Statur, kleiner als Sefora. Sein ungepflegter Vollbart trieft vom Regen.

Die beiden freuen sich, mich zu sehen. Ich frage nach den Kindern. Wie heißen sie noch gleich? Der Junge, acht Jahre, heiße Alexander und der Name der Kleinen sei Alexandra. Ob ich das nicht mehr wüsste. Ja, ich erinnere mich. Vor vier Jahren kam sie zu mir, mit der Bitte, einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch auszumachen und diesen auch zu finanzieren. Die junge Romni aus Rumänien hatte keine Krankenversicherung.

Ich erlaubte mir damals, zu fragen, ob Sefora sich sicher sei, dass sie das Kind nicht wolle. „Nu am bani“, sagte sie, kein Geld. Ich bot an, ihr ein wenig zu helfen. Und so brachte sie am Ende das Kind doch zur Welt. „Du hast unser Mädchen gerettet“, sagt sie heute in völliger Übertreibung dessen, was ich getan habe. Ich war lediglich einmal mit ihr bei der Frauenärztin und habe die ganzen Schwangerschaftsuntersuchungen veranlasst: Ultraschall, Blutuntersuchungen, Mutterpass. Zur Geburt war Sefora wieder in ihrem Heimatdorf. Die Ansammlung von Lehmhütten am Rande einer kleinen Stadt nennt die Mehrheitsbevölkerung in Rumänien verächtlich „Zigania“ - mit Betonung auf dem zweiten „i“.

Nun also sind sie wieder da: Sefora und Mihai. Sie wohnen in einer Siedlung, die der in Rumänien auf erschreckende Weise ähnelt. Fast dreißig Hütten, aus alten Balken, Platten, Paletten, Plastik, ausrangierten Fenstern und Allerlei zusammengezimmert. Irgendwer hat einen Schrott-Transporter. Das alte Fahrzeug fährt kaum noch und dient zum Sammeln all der Dinge, die der kleine Slum benötigt. Das Entsetzen ob des Elendes inmitten einer der reichsten Städte Deutschlands paart sich mit dem Respekt vor der Überlebensleistung in einer unwirtlichen Welt.

Sefora und Mihai verkaufen unsere Obdachlosenzeitung. Von dem bisschen Geld, das sie machen, könnten sie nicht annähernd eine Miete hier bezahlen. Eine Alternative zum Slum gäbe es also gar nicht. Denn Leistungen bekommen EU-Bürger*innen, die nicht regulär arbeiten, in Deutschland keine. Und normale Jobs würden die beiden niemals finden. Sie sprechen kein Deutsch, sind des Lesens und Schreibens nicht einmal mächtig. Das bisschen Geld, das sie machen, schicken sie nach Rumänien zu den Großeltern, die die beiden Kinder betreuen. Unter ebenfalls erbärmlichen Umständen. Die Großeltern leben in einer baufälligen Lehmhütte, ohne Strom, ein Plumpsklo draußen vor der Tür, ohne fließend Wasser, das kostbare Nass müssen sie vom Dorfbrunnen in Eimern nach Hause schleppen, und ohne Heizung, ein kleiner Bullerofen ist vorhanden, beheizt mit Holz aus einem nahe gelegenen Wald - das Sammeln von Brennmaterial ist allerdings streng verboten. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Herkunft aus Chancenlosigeit und Diskriminierung müsste Sefora und Mihai größter Respekt gezollt werden. Sie nehmen ihre elterliche Verantwortung so gut es eben geht wahr. Aber wer weiß das zu schätzen? Sefora berichtet von schlimmen Sprüchen, die sie sich auf deutschen Straßen, ihre Zeitungen in der Hand, anhören muss. Die streng christliche Frau hat ein ausgeprägtes Schamgefühl. Und so wenig sie die hiesige Sprache kennt, Sprüche wie „Schlampe“, „geh arbeiten“, „hau ab, Zigeunerin“ und andere versteht sie. Eigentlich ist sie dankbar, dass sie in einem reichen Land ihre Armut und die ihrer Kinder ein wenig mildern kann. Aber Beleidigungen, die sie oft erfährt, tun weh. Sie erträgt sie mit einer stoischen Floskel, die den ganzen Fatalismus und den ihrer Familie zum Ausdruck bringt: Ce sa fac? Was soll ich tun?

Mihai fragt, ob wir nicht hineingehen sollen. So armselig sie ist, die Hütte, so stolz ist ihr Erbauer dennoch. Im Innern ist es tatsächlich gemütlich. Ein Schlafsofa, ein Tisch, ein goldenes Fundbild mit einer Koran-Sure an einer Wand, sogar ein Fernseher vom Sperrmüll. Strom erhalten sie aus einem kleinen Generator. Sie kochen mit einem Gas-Kocher. Die Gasflasche nebst Füllung mussten sie im Bauhaus für teures Geld allerdings kaufen. Im Winter lief der Kocher die ganze Zeit, um die Hütte zu heizen. Sefora macht einen Kaffee, so, wie sie es von zu Hause gewöhnt ist: Pulver in einen kleinen Topf, dazu viel Zucker und Wasser, das Ganze aufkochen, bis es blubbert - und fertig.
Mihai berichtet, dass er seine Kinder vermisst. Jeden Abend telefonieren er und seine Frau über WhatsApp mit ihnen. Vor einem Restaurant, einige Straßen entfernt, mit kostenlosem W-Lan stehen sie mit ihrem billigen Handy und sehen ihre Liebsten durch Kratzer, Risse und Sprünge auf dem Touchscreen hindurch. Lange wolle er nicht mehr bleiben. Sie bräuchten 350 Euro für den Bus und die Wegzehrung. In Rumänien wolle er sein kaputtes Häuschen reparieren. Aber Baumaterial ist teuer in seiner Heimat. Niemand werfe weg, woraus sie in Deutschland ihre Unterkunft gebaut haben. Deshalb, so Mihai, werden sie nicht lange in Rumänien bleiben können. Also würden sie wiederkommen, in ihre armselige Hütte inmitten einer reichen Stadt in Deutschland.

Ce sa fac? Sefora lacht und zeigt ihre Zahnlücken.

Hubert Ostendorf