Der Mann im Spiegel

Unser Streetworker Oliver Ongaro, der ihn schon seit Jahren kennt hat einen Nachruf auf Andy geschrieben.

Andy und ich stehen in meiner Trainingshalle. Wir trainieren WingTsun eine chinesische Kampfkunst miteinander. Ein halbes Jahr hat Andy bei mir trainiert, damals war er clean. Er hatte eine Übung nicht richtig verstanden. Er war ungeduldig. Vor dem Spiegel sagte ich zu ihm: „schau dir den da genau an, er ist dein größter Gegner, der Mann im Spiegel“.

Andy hatte viel hinter sich gelassen, harte Drogen, viel Gewalt, Knast. Er hatte eine kleine Wohnung in Flingern, seit über 15 Jahren verkaufte er die fiftyfifty. Andy war ein Kämpfer. Jeden Tag kämpfte er gegen die Gespenster der Vergangenheit, die er leider oft nur mit hartem Alkohol und anderen Drogen bändigen konnte. Mehrfach hab ich ihn zur Entgiftung in die Klinik gefahren. Er wollte immer nochmal zum Training kommen, clean. Oft hat er davon gesprochen. Am letzten Dienstag habe ich Andy am Hauptbahnhof getroffen. Er lag in einer Ecke, eine Wodkaflasche in der Hand. Ich hab ihn richtig angemacht. Ich war richtig sauer. Er solle gefälligst aufstehen und nach Hause gehen. Er sei doch jemand, der immer wieder aufsteht. Er ist dann tatsächlich aufgestanden, hat mich in den Arm genommen und hatte Tränen in den Augen. Er habe schon einen Termin in der Klinik zum Entgiften. Er würde morgen nochmal in die Sozialberatung von fiftyfifty kommen. Zu fiftyfifty gekommen ist er leider nicht mehr. Am Wochenende ist Andy im Krankenhaus gestorben. Sein Körper konnte nicht mehr. Er wurde 49 Jahre alt. Schade Andy, ich hätte dich so gerne nochmal in meiner Halle gesehen, vor dem Spiegel.

Oliver Ongaro, Streetworker beim Straßenmagazin fiftyfifty