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Fast wie Urlaub

Obdachlose wollen 9-Euro-Ticket für immer

Spektakuläre Aktion der Straßenzeitung fiftyfifty vor dem Düsseldorfer Hauptbahnhof. Die Gestalt von Bundesfinanzminister Christian Lindner fährt stilecht im Porsche vor, in der Hand einen Schildpanzer mit dem Logo der Nobelmarke und der Aufschrift entsprechend seiner vielfach geäußerten Statements: „9-Euro-Ticket NO, Tankrabatt YES“. In der anderen Hand ein Kanister mit den Buchstaben seiner Partei „FDP“ und mitgelieferter Deutung: „Für den Porsche“. Ziel dieser von Farbfieber-Künstler Klaus Klinger umgesetzten Inszenierung ist es, Aufmerksamkeit zu erzeugen, für das, was Obdachlose vortragen, nämlich: Warum das 9-Euro-Ticket aus ihrer Sicht nach drei Monaten nicht abgeschafft werden darf. Viele berichten darüber, wie sie erstmalig seit langer Zeit wieder den Luxus der Mobilität erleben durften, wie sie in ferne Städte gefahren sind, ohne Angst, bei Schwarzfahren erwischt zu werden. Denn gerade Obdachlose können sich oft nicht einmal das fast 40 Euro teure Sozialticket leisten und werden wegen wiederholter Beförderungserschleichung am Ende inhaftiert.

Vanessa berichtet: „Jetzt, in Zeiten der Inflation, reicht das Geld vorne und hinten nicht. Mit dem 9-Euro-Ticket habe ich einige Ausflüge gemacht.“ Und Django sagt: „Das 9-Euro-Ticket ist gerae für Menschen wie uns ein Segen." Er ist mit seiner Frau Monika zusammen nun schon in einigen Städten der Umgebung gewesen. Django: „Das ist fast wie Urlaub machen - was sonst nie möglich wäre.“

Obdachlose fordern von Bundesfinanzminister Christian Lindner das 9-Euro-Ticket zu erhalten.

https://www.ddorf-aktuell.de/2022/08/04/duesseldorf-fiftyfifty-aktion-am-hauptbahnhof-mit-christian-lindner/

https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/falscher-christian-lindner-100.html

Obdachlose konfrontieren „Lindner“

fiftyfifty-Aktion sollte aufzeigen, was das 9-Euro-Ticket für arme Menschen bedeutet

Ein paar Wolken sorgen gerade für eine Auszeit von der knallenden Sonne, als sich am Donnerstagmittag Fiftyfifty-Verkäufer und -Mitarbeiter auf dem Bahnhofsvorplatz sammeln. Sie wollen darüber reden, was das bald endende 9-Euro-Ticket für Obdachlose und arme Menschen bedeutet. Plötzlich gehen die Blicke gen Innenstadt – ein schwarzer Porsche fährt auf den Hauptbahnhof zu. Die Nobelkarosse bahnt sich ihren Weg bis vor das Bahnhofsgebäude. Und aus dem Wagen steigt: Christian Lindner! Sozusagen. Ein kostümierter Mann mit Pappmaché-Kopf des Finanzministers posiert mit einem „Porsche“-Ritterschild und einem Benzinkanister „Für den Porsche“ (FDP) vor den Pressekameras.
„Das Kostüm hat Farbfieber-Künstler Klaus Klinger gestaltet“, erklärt fiftyfifty-Geschäftsführer Hubert Ostendorf. Der Wagen wurde dazu gemietet. Die Aktion ist kein Klamauk, betont er. „Und auch kein FDP-Bashing!“ fügt fiftyfifty-Sprecher Oliver Ongaro hinzu. „Es geht darum, anschaulich zu machen: Einige fahren in Deutschland in Autos, die rund 90.000 Euro kosten, viele sind für Mobilität auf ein 9-Euro-Ticket angewiesen.“ Das Wort sollen bei dieser Versammlung vor allem diejenigen haben, für die das Ticket den größten Unterschied macht. Gerade sie hätten im Gegensatz zur Autoindustrie kein Gehör beim Finanzminister, so Ongaro. Alle von ihnen sind obdachlos oder haben erst durch das Housing-First-Projekt eine Wohnung gefunden.
Darunter ist etwa fiftyfifty-Verkäufer „Django“. Er und seine Frau leben von Erwerbsminderungsrente und Grundsicherung, der Zeitungsverkauf ist seit Corona immer schwierigererklärt er. „Das 9-Euro-Ticket hat uns ermöglicht, zum ersten Mal seit Jahren wieder die Gräber unserer Eltern in Remscheid und Marl zu besuchen.“ Mit dem auf Düsseldorf begrenzten Sozialticket, dass sogar rund 30 Euro teurer ist, ist ihnen das nicht möglich. Auch Sandra Martini, seit 15 Jahren Fiftyfifty-Verkäuferin freute sich sehr über das Ticket: „Dadurch konnte ich endlich wieder Familie und Freunde besuchen. In Köln und Umgebung und auch in Ostwestfalen-Lippe.“ So geht es vielen, die an diesem Mittag ihre Stimme erheben. Lange unmögliche Familienbesuche waren endlich bezahlbar, einige konnten auch Urlaubsausflüge unternehmen, die sie sich seit Jahren wünschten – nach Konstanz, nach Frankfurt oder Berlin etwa.

Viel weniger „Schwarzfahren“
„Jeder hat das Recht, weiterzukommen, auch mal aus der Stadt rauszukommen“, findet Peter, genannt „Kö-Peter“. Mit dem 9-Euro-Ticket sei das möglich gewesen. Und deswegen solle es weiterbestehen oder durch eine gute Alternative ersetzt werden, fordert er. „Wenigstens für Bezieher von Hartz IV und Grundsicherung.“ Worauf Peter und viele Anwesende aufmerksam machen: Die Fälle des „Schwarzfahrens“ haben sich durch das Ticket deutlich reduziert. Das betrifft besonders Obdachlose:„Die Hälfte der Leute, die fiftyfifty verkaufen, war schon einmal im Gefängnis – wegen Schwarzfahrens!“ sagt Ostendorf. Selbst das Sozialticket sei mit rund 40 Euro monatlich für Obdachlose kaum bezahlbar. Und die Gefängnisstrafen nicht nur menschlich schlimm, sondern auch volkswirtschaftlich „Unsinn“. „Die Regierung hat auch viele schlechte Ideen. Aber das9-Euro-Ticket ist eine gute Idee“, so Ostendorf. „Wir fordern ein dauerhaftes 9-Euro-Ticket!“
Die Aktion auf dem Bahnhofsvorplatz folgte einer Kundgebung vor dem Rathaus vergangene Woche (NRZ berichtete). Anschließen soll sich in der kommenden Woche eine Demonstration. Im Zusammenspiel von Inflation und Corona „rollt etwas auf uns zu“, so Oliver Ongaro. Bevor, so erwartet er, im Herbst die Debatte um den Umgang mit der Krise volle Fahrt aufnimmt, will fiftyfifty schon Impulse geben – und zwar durch die Stimmen der Leute, die am härtesten unter den Konsequenzen leiden.Sebastian Besau NRZ / WAZ

Nachfolgende Fotos von Katharina Mayer