Ein Lächeln, wie ein Versprechen 

fiftyfifty-Mann Uli ist an seinem Platz allseits beliebt. Durch eine Krankheit wurde er zum Frührentner. Der Verkauf dieser Zeitung hilft ihm, seine kargen Bezüge aufzubessern. Und, vor allem, dass er Kontakt zu vielen Menschen hat, denen er mit seiner gewinnenden Art viel Freude bereitet.

Von Arno Gehring

18 Jahre immer an einem Platz, mindestens fünf verschlissene Stühle, tausende verkaufte Obdachlosen-Zeitungen und ganz viel neue Freunde. Nicht nur in Sachen Standorttreue gehört Uli zu den ganz speziellen fiftyfifty-Verkäufer*innen. Und wenn man denn in Düsseldorf-Oberkassel fragt: „Wo sitzt er eigentlich, der Uli?“, dann gibt es immer nur eine Antwort: „Wie, wo sitzt der Uli? Der sitzt natürlich da, wo er immer sitzt!“

Da, im nobelsten Viertel der Stadt, gehört es anscheinend zum guten Ton, zu wissen, wo er sitzt, der fiftyfifty-Verkäufer, der die Herzen der Menschen erobert hat. Sein kleines Reich liegt auf der Hansaallee. Zwischen einem schönen Altbau und einem Discounter. Zurzeit sitzt er auf einem großen Plastikstuhl mit hoher Lehne. Ein kräftiger Mann. 66 Jahre alt. Rundes Gesicht. Zwei silberne Ohrstecker und ein Lächeln wie ein Versprechen: Alles wird gut. Einer, bei dem man denkt, der weiß, wo im Baumarkt die richtigen Schrauben liegen. Wie kommt dieser Mann an diesen Ort?

Ulis Geschichte ist nicht die von geplatzten Träumen, von Abstürzen ins Bodenlose, von Sucht und Verzweiflung. 30 Jahre lang hat er als Elektroniker gearbeitet. „Immer im selben Betrieb in Neuss. Ich habe Alarmanlagen gebaut und installiert. Aber dann machte mir meine Gesundheit einen Strich durch die Rechnung.“ Nach einer aufgeplatzten Thrombose drohte der Verlust beider Beine. Monatelang lag er im Krankenhaus. „Ja, und dann war ich mit 48 Jahren plötzlich Frührentner.“ Ziemlich kleines Einkommen, große Langeweile. Nichts für einen wie Uli. „Mich verband damals schon eine Freundschaft zu einem fiftyfifty-Verkäufer. Der sagte mir, mach das doch auch. Das ist gut. Und das habe ich dann auch gemacht.“

Die Herzen der Oberkasseler hat er damals nicht gleich im Sturm erobert. Uli: „Ich musste mich erst einmal daran gewöhnen mit einer Obdachlosenzeitung in der Öffentlichkeit zu sitzen. Ich hatte ja jahrelang genauso gearbeitet wie die, die jetzt an mir vorbeigingen. Da gibt es schon so etwas wie Scham.“ Inzwischen geht kaum noch einer an Uli vorbei, ohne zu grüßen, oder einen kurzen Plausch mit ihm zu halten. Junge Erwachsene sind dabei, die er schon kannte, als sie noch auf der Hansaallee zur Schule gingen. Bei Uli gab es für sie immer Haribo. Gibt es heute übrigens auch noch. Hundebesitzer parken ihren Fifi bei ihm, wenn sie im Discounter einkaufen gehen. Und es sind nicht wenige Oberkasseler Hunde, die wissen, dass er auch für sie immer ein Leckerli dabei hat. Rentner kommen morgens auf einen Kaffee vorbei. Auch den hat Uli immer dabei. Er hört zu, er tröstet, wenn notwendig. Und wenn er mal nicht so gute Laune hat, würde er das nie zeigen. „Immer freundlich sein“, sagt er. „Das hilft.“

Einmal hat er Ärger gehabt. Eine Frau hatte sich beim Discounter beschwert, weil er sie „ungefragt“ gegrüßt hatte. Was ist daraus geworden? Uli: „Nichts. Sie kommt immer noch. Aber ich grüße sie einfach nicht mehr.“ Und einmal hat er für ganz große Aufregung gesorgt. Ein Krankenhausaufenthalt, den er nicht angekündigt hatte. „Da war er plötzlich verschwunden“, erzählt ein befreundeter Rentner. „14 Tage lang. Alle waren in Aufruhr. Wir haben sogar Durchsagen in der Rheinbahn machen lassen. Ohne Uli geht es einfach nicht. Der gehört zu Oberkassel wie der Papst zu Rom.“

Wie sehr man ihn dort inzwischen schätzt, zeigt eine auch Aktion vor ein paar Wochen. Jubiläen werden im Stadtteil der Schönen und Reichen bestimmt öfter gefeiert. Der Bankdirektor, der Oberarzt, die Zahnarztfrau – irgendeinen Anlass gibt es da immer. Aber das Jubiläum des Verkäufers einer Obdachlosenzeitung zu feiern, das hat es im Nobelviertel noch nicht gegeben. Freunde, Anwohner und Kunden überraschten Uli an diesem Tag mit einem großen Banner, das zu Ulis Überraschung aus einem Fenster entrollt wurde: „18 Jahre unser fiftyfifty-Uli“. Mit einem Pfeil auf seinen täglichen Sitzplatz. Dazu eine Glückwunschkarte mit über 60 Unterschriften und viele Geschenke. Uli: „Das hat mich sehr sehr glücklich gemacht.“

fiftyfifty November 2021

Fotos: Nicole Gehring