fiftyfifty trauert um Norbert Blüm

Sommer 2012. Ich weiß nicht mehr, von wem ich die email-Adresse von Norbert Blüm bekommen habe. Ich hatte in einer Zeitung gerade einen seiner kapitalismuskritischen Beitrage, die er nach seiner Zeit als Minister in der Ära Kohl häufiger verfasste, gelesen. Seine Ausführungen haben mir gefallen und ich fragte ihn also per email, ob er für unser Straßenmagazin, das ich ihm bei der Gelegenheit vorstellte, auch einen Artikel liefern würde. Da ich gerade auf dem Weg in meine Wahlheimat Rumänien sei, wie ich schrieb, und eine Zeitlang per email nicht zu erreichen, bat ich darum, ob ich ihn von dort anrufen dürfte – und schickte meine Handy-Nummer mit der Bitte um Übermittlung der Büro-Nummer per sms. Mittlerweile in Rumänien angekommen, wartete ich in einer Behörde einen halben Tag lang auf die Erledigung einer Kleinigkeit. Der Beamte ging mit mir und meiner Begleitung in den Innenhof, in dem ironischerweise ein Antikorruptionsplakat der EU hing, und hielt die Hand auf, was die Angelegenheit beschleunigen würde, wie er versicherte. Im Inneren des Gebäudes hingen überall Kameras, daher der Innenhof. In diesem Moment klingelte mein Handy. Am Apparat: Norbert Blüm. Ich war verdutzt und teilte ihm mit, dass ich schon, wie schriftlich mitgeteilt, im Ausland sei. Norbert Blüm fand, das sei kein Problem. Wenn ich Zeit hätte, könnten wir die Angelegenheit in jenem Moment in Ruhe bereden. Wer bin ich, dass er mich fragt, ob ich Zeit habe, dachte ich und bat, nachdem sich mein Erstaunen gelegt hatte, noch einmal um jenen Beitrag für unser Heft, das er übrigens kannte, wie er sagte, nannte die gewünschte inhaltliche Ausrichtung, nämlich eine Kritik an dem Mammon Geld, die übliche Länge und den Zeitpunkt der Abgabe. Blüm sagte zu, er werde pünktlich liefern und hielt Wort.

Wenn ich heute lese, wie persönliche und politische Wegbegleiter sich über diesen Mann nach dessen Tod (zum Teil auch heuchlerisch) äußern, dann erscheint mir meine Begebenheit mit ihm, dem ich Jahre vorher bei einer Vernissage nur einmal kurz persönlich begegnet war, typisch. Er war wohl wirklich ein Menschenfreund, jemand, der sich stets für die Kleinen, die Benachteiligten, in unserem Fall die Obdachlosen, eingesetzt hat.

Seine Worte in fiftyfifty können insofern ein wenig so etwas wie ein Vermächtnis sein. Das Credo eines Mannes, für den das christliche Menschenbild nicht nur eine Phrase war. Einige Auszüge:

Ich glaube nicht an Gott Mammon. Ich widersage ihm mit allen meinen Kräften. Mammon ist ein gieriger Götze, der sich anschickt, die Welt zu verschlingen. ... Die Hostie des Finanzkapitalismus ist das Geld. Mit Kaufen und Verkaufen von Firmen lässt sich mehr Geld verdienen, als in Firmen zu produzieren. ... Die Aktie transferiert vom Investitionsobjekt zum Spekulationssubjekt. Arbeitnehmer werden abgestoßen, angelegt, im Depot gehalten - wie Aktien. ... Die Liebe, das Schönste, wozu wir Menschen fähig sind, degeneriert zur Kosten-Nutzen-Analyse; die Ehe schrumpft zur Lebensabschnittspartnerschaft. Sie gilt, so lange nichts Besseres kommt. ... Mammon fordert, für den Reichtum alles zu opfern. Auch die Liebe. ... Die neuen Kathedralen sind die gläsernen Bankhäuser, längst höher als alle Kirchtürme. ... Die Börsennachrichten rahmen mit der Wetterkarte die Tagesschau ein - das Wetter und die Börse, das trifft alle Menschen. Und mehr als Sonne, Hagel und Regen entscheidet der Börsenkurs über das Wohl und Weh der Menschen. ... Es geht nicht mehr um Schuld und Erlösung, es geht um Schulden und Erlös. Über das, was Sünde ist, wachen heute die Ratingagenturen wie früher die Heilige Inquisition - statt dem Scheiterhaufen droht der Ruin. ... Die Märkte lieben Opfergaben: Lohnkürzungen und Streichung der Sozialausgaben. Dann lassen sie die Wirtschaft wachsen. ... „Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon dienen“, sagte einst Jesus. Er hatte schon vor 2000 Jahren recht.

Was für Worte. Wie wahr und aktuell. Insgeheim hatte ich gehofft, seinem Verfasser irgendwann einmal noch zu begegnen oder ihn noch einmal um seine Unterstützung bitten zu können. Nun wird er mich nicht mehr anrufen, einfach so, wie es seine Art war.

fiftyfifty trauert um Norbert Blüm. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau, seinen Kindern und Enkelkindern sowie allen, die ihn vermissen. Hubert Ostendorf

 

Die komplette Titelgeschichte von Norbert Blüm aus 2012 hier: https://www.fiftyfifty-galerie.de/magazin/epaper (bis August 2012 runterscrollen)