Trauer um langjährigen Verkäufer Jörg Hilden

Er gehörte zu den ersten Verkäufern von fiftyfifty. Nun ist Jörg Hilden im Alter von nur 55 Jahren gestorben. Eine kurze Berühmtheit erlangte er 2004 durch seine Teilnahme an „Obdachlose fotografieren Passanten“, einem Projekt des weltbekannten Künstlers Thomas Struth. Damals ist nachfolgender Text von Hubert Ostendorf für die Ausstellung entstanden, die vielfach und stets unter großer öffentlicher Anteilnahme gezeigt wurde.

Jörg Hilden ist ein Mann der Tat. Der nicht allzu große fiftyfifty-Verkäufer mit dem rötlichen Vollbart, der eine angeborene, operativ behandelte Oberlippenanomalie verdeckt, fotografiert wie ein Weltmeister, schießt einen Schnappschuss nach dem anderen. „Hier am Carlsplatz ist mein Revier“, sagt er. Hier zieht er mit seiner großen schwarzen Hündin Jenny zwischen den Verkaufsständen hin und her – rastlos, immer unterwegs, bis der Hund an einem Fleischstand stehen bleibt und sehnsuchtsvoll schnuppert. Viele Leute kennen Jörg. „Die meisten sind freundlich zu mir, wenn ich die fiftyfifty verkaufe“, schmunzelt er und gibt den Blick auf seinen beinahe zahnlosen Kiefer frei. „Die Zähne lasse ich mir gerade machen“, sagt er.

Fotos von Jörg Hilden aus "Obdachlose fotografieren Passanten" 2004, ein Projekt von Thomas Struth mit 12 fiftyfifty-VerkäuferInnen. https://www.fiftyfifty-galerie.de/projekte/1886/obdachlose-fotografieren-passanten-ein-projekt-von-thomas-struth

Jörg ist momentan auf dem Weg der Besserung. Obwohl er wegen Raub und Drogendelikten immer wieder in diversen Gefängnissen war, hat er die Hoffnung auf ein geregeltes, drogenfreies Leben nicht aufgegeben. Er ist seit geraumer Zeit clean, wird mit Methadon substituiert. Der Bäcker, der seinen gelernten Beruf aufgrund einer Hepaptis nicht ausüben darf, kann kräftig zupacken. Schon im Gütersloher Knast war er bei Miele in der Waschmaschinenproduktion tätig. „Arbeit ist für mich wie Therapie“, erläutert er.

Jörg musste in seinem Leben so Einiges ertragen – selbstverschuldet wird manch einer oberflächlich betrachtet vielleicht sagen. Doch die Wirklichkeit ist vielschichtiger. Hart war der Verlust der Mutter 1997. „Da bin ich schwer abgestürzt“, gibt Jörg zu. Drogensucht, Obdachlosigkeit, erneut Knast – „das ganze Programm eben“. Zu seinem Vater hat er gar keinen Kontakt mehr, der hat sich, als der Junge neun Jahre alt war, aus dem Staub gemacht. Erst auf Nachfrage teilt Jörg zögernd mit: „Die Trennung hat mein Leben schwer belastet.“ In der Schule war er fortan ein Versager, musste zum Psychologen. Und, weil der Vater weg war, immer auf den sechs Jahre jüngeren Bruder aufpassen. Heute hat er einen guten Draht zu ihm, besucht ihn manchmal in dessen allzu gutbürgerlichen Existenz als Schreinermeister. Der Bruder hat das, was Jörg nicht hat: eine Arbeit, eine Frau, einen Sohn – ein Zuhause. „Ich war halt immer das schwarze Schaf“, bringt er ohne Neid hervor. Kein Wunder, dass er früh auf der Straße gelandet ist. Nach Absolvierung seines Wehrdienstes hat er keine Arbeit gefunden, ist nach Paris getrampt - Platte machen. „Dort habe ich den Überlebenskampf auf der Straße kennen gelernt“, sagt er nicht ganz ohne Stolz. Und, wer weiß, vielleicht hat ihm das Leben unter Brücken und auf dem Asphalt auch eine gewisse Stärke verliehen. Immerhin haben er und einige Freunde vor kurzem am Rhein eine Bauwagensiedlung gegründet. Gerade erst ist ihm auch von dort wieder einmal der Absprung gelungen: Jörg lebt in einer Wohngemeinschaft. Sein Traum für die Zukunft: Eine feste, regulär bezahlte Arbeit finden und eine Frau. „Keine kaputte, aber auch keine Spießerin“, sagt er mit leicht gerötetem Gesicht und lacht wieder sein gewinnendes Lachen.

Nachtrag: Eine Frau hat Jörg tatsächlich gefunden, einen regulären Job aber nicht. Als Folge seiner Drogenkrankheit wurde ihm nach einem Spritzenabszess der linke Arm amputiert. Trotz dieser Behinderung soll er, kaum vorstellbar, in einer Auseinandersetzung mit dem Düsseldorfer Ordnungsdienst – Vorwurf: Biertrinken in der Öffentlichkeit – einen Beamten schachmatt gesetzt haben. Das hat er stets bestritten. Fest steht aber: Jörg war nicht auf den Mund gefallen und hat sich nicht alles gefallen lassen.

Jörg ist in seiner Wohnung an den Folgen seiner Drogenerkrankung gestorben.

http://www.ik-armut.de/pressemeldung/einarmiger-soll-ordnungsdienst-attackiert-haben