ntv | 11. November 2019

Zahl steigt stetig an: Wer sind Deutschlands Wohnungslose?

Die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland steigt. Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe zufolge waren im vergangenen Jahr 678.000 Menschen ohne Wohnung. Damit ist die Gesamtjahreszahl um 4,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. 2017 lag sie noch bei 650.000 Menschen.

Wohnungslosigkeit ist vor allem für Geflüchtete zunehmend zum Problem geworden. Ihre Zahl ist um 22 Prozent gestiegen, während es ohne den Einbezug von Flüchtlingen nur 11 Prozent sind. "Dabei werden Menschen, die in leerstehenden Häusern oder Garagen leben, noch gar nicht mitgezählt", sagt Sozialarbeiterin Julia von Lindern von der Wohnungslosenhilfe "Fiftyfifty" in Nordrhein-Westfalen zu n-tv.de. "Wir gehen deshalb von einer hohen Dunkelziffer aus."

Viele Obdachlose aus anderen EU-Ländern

Ohne jegliche Unterkunft leben nach offiziellen Schätzungen rund 41.000 Menschen in Deutschland. Vor allem in den Großstädten sind rund 50 Prozent davon nicht-deutsche EU-Bürger. Sie machen 17 Prozent der Gesamtzahl der Wohnungslosen in Deutschland aus. Ein Grund dafür ist, dass Menschen ohne deutschen Pass meist kein Anrecht auf reguläre Notschlafstellen haben, in die man abends rein- und morgens wieder rausgeht. Nur Winternothilfen dürfen seit Kurzem unabhängig vom Pass genutzt werden.

Als Beispiel nennt von Lindern eine Gruppe von etwa 50 Polen, die seit Jahren auf dem Düsseldorfer Flughafengelände schläft. Sie werden nicht erfasst, weil die Abflughalle als Privatgelände gilt. "Somit ist es nicht Auftrag der Stadt, diese Menschen mitzuversorgen", erklärt von Lindern. Die meisten EU-Bürger, die auf der Straße leben, seien Osteuropäer. "Aber auch junge Menschen aus Spanien zum Beispiel."

Auch Harz IV dürfen nur EU-Bürger beziehen, die bereits fünf Jahre in Deutschland gearbeitet haben. Viele befinden sich allerdings in prekären Arbeitsverhältnissen, betont von Lindern: "Sie arbeiten in Kurzzeitjobs, zum Beispiel als Paketboten in der Vorweihnachtszeit, oft ohne richtige Arbeitsverträge." Viele von ihnen hätten kein Dach über dem Kopf und bekämen keine Hilfe, "weil sie den falschen Pass haben".

Zu wenig bezahlbarer Wohnraum

Von Wohnungslosigkeit gefährdet sind zudem besonders Alleinerziehende, junge Erwachsene und in Armut lebende Menschen. 70 Prozent sind alleinstehend, 30 Prozent leben mit Partner und Kindern zusammen und 8 Prozent sind noch minderjährig. Die Gründe, die zur Wohnungslosigkeit führen, seien vielfältig, sagt von Lindern. "Oft sind Verschuldung und der Verlust einer Arbeit der Grund, bei Frauen und Kindern auch oft Gewalt in der Familie oder Partnerschaft", weiß die Sozialarbeiterin.

Doch ein Problem ist vor allem zu wenig bezahlbarer Wohnraum. "Sozialwohnungen werden immer knapper, während die Zahl der Wohnungslosen stetig steigt", sagt von Lindern. Auch die BAG Wohnungslosenhilfe prangert diesen Missstand an. "Es fehlt insbesondere an bezahlbarem Wohnraum für Menschen mit niedrigem Einkommen und Flüchtlinge", so Rosenke. Ein großes Defizit bestehe vor allem bei Ein- bis Zweiraumwohnungen: Auf 5,4 Millionen Wohnungen kämen 2018 demnach 17,3 Millionen Einpersonenhaushalte.  "Über 50 Prozent der Wohnungslosen bleiben über zwei Jahre wohnungslos, weil sie keine bezahlbaren Wohnungen finden", erklärt von Lindern. Ohne politische Veränderung würde die Schere in den kommenden Jahren weiter aufgehen.

Prävention sollen verstärkt werden

Die BAG Wohnungslosenhilfe fordert deshalb seit Jahren eine bundesweit einheitlich erhobene Statistik zur Wohnungslosigkeit. Das Bundeskabinett hat ein entsprechendes Gesetz auf den Weg gebracht, das die Zahl der Wohnungslosen ab dem Jahr 2021 erfassen soll. "Das Wohnungslosenberichterstattungsgesetz ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung", begrüßt Rosenke die Umsetzung ihrer langjährigen Forderung. Sie kritisiert allerdings, dass die Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau 2020 und 2021 mit jeweils einer Milliarde Euro niedriger angesetzt sind als in den Vorjahren.

Zudem solle eine stärkere Prävention von Wohnungslosigkeit vom Bund gesteuert werden, fordert Rosenke. In jeden Landkreis gehöre eine Fachstelle zur Verhinderung von Wohnungsverlusten, die Menschen in besonders schwierigen Lebenslagen beraten und begleiten könne. Außerdem solle es ein Frühwarnsystem geben, das zeigt, wenn ein Mietverhältnis gefährdet ist. Die Verhinderung von Wohnungslosigkeit habe absolute Priorität.

Quelle: n-tv.de