Macht und Ohnmacht der Bilder
„Als die Bilder laufen lernten“ – Klaus Klinger stellt die Überbleibsel seiner Aktionen und Proteste in der fiftyfifty-Galerie aus.
Zum Beispiel in Düsseldorf: die „Zeitreisenden“ am Hochbunker der Aachener Straße oder die so unterschiedlichen Persönlichkeiten aus dem einstigen Arbeiterviertel Flingern an der Ackerstraße 59 oder „Ottos Ohr“ am Hellweg. Die riesigen Malereien auf den Fassaden sind farbenprächtig, als Wimmelbilder voller Verweise und Zitate noch auf ihren Ort, perspektivisch raffiniert, also das Beste an Realismus und Einprägsamkeit, aber auch mit aufrüttelnden Botschaften. Mit solchen Bildern wurden Klaus Klinger mit der „Wandmalgruppe Düsseldorf“ und der daraus hervorgehende Verein „farbfieber“ bekannt. Mitunter werden Künstler und Künstlerinnen aus anderen Ländern eingeladen, so wie die Düsseldorfer in der Ferne arbeiten.
Hinter diesen Bildern steht eine soziale Notwendigkeit. Die Stadt gehört allen und sie hat eine farbenfrohe Schönheit statt grauer Fassaden verdient, so werden auch dunkle Unterführungen künstlerisch mit Formen der Street Art versehen - und dadurch sicherer. Die Wandmalereien üben als „Plakate auf Dauer“ konkrete Kritik an Konsumrausch und Kapitalismus und an der Globalisierung. Sie sind Protest gegen Umweltzerstörung, die Rüstungsindustrie (Rheinmetall) und Fremdenfeindlichkeit und wenden sich gegen Gentrifizierung und Wohnungsmangel. Sie widmen sich dem Gemeinsinn über Generationen und Kulturen hinweg, thematisieren Gastfreundschaft und ein Gefühl für Heimat und Offenheit, für neue Begegnungen. Die Fassaden sind das wirksamste Mittel in der Öffentlichkeit, obwohl das, wie überhaupt bei Street Art, meist etwas relativ ist: Viele der Malereien, die Klinger mit seinen Kolleginnen und Kollegen über Wochen auf Gerüsten angefertigt hat, sind im Laufe der Zeit verblasst oder durch den Abriss der Häuser zerstört worden - das gehöre dazu, sagt Klaus Klinger gelassen im Atelier am Fürstenwall: Schließlich bleibt, übers Internet abrufbar, die Fotodokumentation.
Ganz zu Beginn lagen die Probleme, gegen die die „Wandmalgruppe“ buchstäblich auf die Straße ging, direkt vor der Haustür. Die Taktik der Wohnungsbaugesellschaft „Neue Heimat“, Mieter zu vertreiben, um die Wohnungen erneuert teurer anzubieten, führte die Student:innen der Düsseldorfer Kunstakademie 1977/78 zu den ersten Malereien und Texten an Fassaden der Grafenberger Allee. 1980 hielt sich der damals 26-jährige Klinger eine Zeit lang in New York auf, als dort Graffiti und Straßenkunst boomten, und reiste von dort weiter nach Mexiko, wo er die berühmten Wandbilder sah, die nach der mexikanischen Revolution entstanden waren und sich in ihrer politischen Botschaft an die Menschen auf die Straße gerichtet hatten. Die 1980er-Jahre nun waren in Klingers Heimat die Zeit der Ostermärsche, der Proteste gegen die Stationierung der Pershing-Raketen und gegen die Atomkraftwerke, ihre Wiederaufbereitungsanlagen und Endlager. Es war die Zeit der Demonstrationen und öffentlichen Kundgebungen, zu denen die Künstler einprägsame, groteske Beiträge schufen. „Da wir immer eng mit der Protestkultur verbunden waren und es zu wenig Wände gab, um auf all diese Missstände in unserem Land aufmerksam zu machen, entwickelten wir neue Formen der Straßenkunst, große bewegliche Figuren, Objekte und Masken, mit denen wir Initiativen bei ihren Protestmärschen malerisch und theatral unterstützten“, so Klaus Klinger. Und das geschah dann auch im Düsseldorfer Karneval, an dessen Rosenmontagsumzug die „Wandmalgruppe“ eineinhalb Jahrzehnte teilnahm, und in Guerillaaktionen dort, wo die Stadt am belebtesten ist. Plötzlich standen die Künstler mit grobschlächtigen, sofort identifizierbaren Masken von Reagan, Thatcher oder Franz-Josef Strauß unter den Passanten und diskutierten.
Ziemlich am Anfang steht die „Schöne Bescherung“ als Ausstellung der „Wandmalgruppe“ 1989 im Stadtmuseum: Ein Parcours von Ausstellungssaal zu Ausstellungssaal wie eine Geisterbahn oder ein Horrorkabinett mit den monströsen Masken der Politiker:innen und gegenüber der Wirklichkeit doch so harmlos. Die Ausstellung benannte noch mit Fotos und Tabellen all das, wovor weite Teile der Stadtgesellschaft die Augen und Ohren verschlossen und jetzt statt aufgerüttelt zu sein beleidigt waren. Begann es nicht da, dass Klaus Klinger für sich das Alter Ego des nachdenklichen, fein hinhörenden Großstadtaffen gewählt hat? Dazu hat er immer auch gemalt, Drucke oder Stempelbilder und sogar Skulpturen vom Affen, und zwar für fiftyfifty, angefertigt: Die Probleme sind leider nicht weniger geworden; noch im vergangenen Jahr hat er einen Wagen zu einer Demo von Verdi gestaltet.
Ein bisschen hatte Klaus Klinger die „Schöne Bescherung“ von 1989 im Hinterkopf, als er jetzt seine Ausstellung bei fiftyfifty konzipiert hat: Es ist Zeit, an die Vergangenheit zu erinnern und zu fragen, ob es „besser“ geworden ist. Dazu hat er Überbleibsel der Aktionen und Ausstellungen zusammengetragen, geschichtet und als Inszenierung geordnet. Es ist in all seiner Brüchigkeit erschreckend. Nicht weil die Pappmasche-Figuren so furchteinflößend sind, sondern weil vieles noch immer nicht gelöst ist und sich manche Sorgen – die Obdachlosigkeit, Wohnungsnot, die Schere in der Gesellschaft, der Umgang mit Fremden etc. – sogar verschlimmert haben. Kommt alle und denkt mit!
Thomas Hirsch